Was taugt Psi-Diagnostik? In Heilerbüchern, der Szenepresse und esoterischen Internetauftritten wimmelt es von Wundermeldungen über fabelhafte Erkenntnisleistungen, die auf außersinnlichem Wege erzielt worden sein sollen. Weil sie zumeist auf nachträglich unüberprüfbare Berichte der Diagnostiker
selbst oder ihrer Klienten zurückgehen, fällt es Skeptikern gewöhnlich leicht, sie als bloße Gerüchte abzutun. Doch jedes pauschale Pro oder Contra verfehlt die widersprüchliche Faktenlage. Einerseits l berichten praktizierende Ärzte, die mit Heilern kooperieren, vereinzelt auch über deren verblüffende “hellsichtige” Treffsicherheit, insbesondere in Fällen,
bei denen eine schulmedizinisch abgesicherte Diagnose zunächst nicht vorlag oder in eine andere Richtung deutete (siehe Geistiges Heilen in der ärztlichen Praxis); l wenden zahlreiche Ärzte inzwischen schon selber “Psi-Diagnostik” an (siehe Geistiges Heilen in der ärztlichen Praxis); l bestätigen Tests in mehreren Kliniken (USA, Großbritannien, Schweiz, Russland, Bulgarien), die mehrere Wochen bis zu 15 Jahren dauerten, dass manche Heiler erstaunlich zuverlässig und präzise Krankheiten orten können. Andererseits haben Heiler in wissenschaftlichen Studien weitaus häufiger versagt als überzeugt. (Siehe z.B. mein Psi-Diagnostik-Test 2003.) Dabei zeigte sich unter anderem: 1. Zwischen Psi-Diagnostikern bestehen beträchtliche Qualitätsunterschiede. In wissenschaftlichen Tests erzielten
einzelne herausragende Könner zwar Trefferquoten von 85, in einem Fall sogar von 100 Prozent; doch die meisten blieben im Bereich der Zufallswahrscheinlichkeit richtigen Ratens. 2. Selbst die Allerbesten können irren - und liegen in Einzelfällen haarsträubend daneben. 3. Wie jedes außersinnliche Wahrnehmungsvermögen, so unterliegt auch die Psi-Diagnostik einem unberechenbaren Auf und Ab. Publik werden immer nur Leistungen, die in optimaler seelischer und geistiger
Verfassung erzielt worden sind; aber auch Hellseher haben, wie alle Berufsgruppen, gute und schlechte Tage. 4. Psi-Diagnosen fallen fast immer zu allgemein, vage und mehrdeutig
aus, um brauchbar zu sein, d. h. eine gezielte Suche nach Krankheitsursachen und darauf abgestimmte therapeutische Maßnahmen zu ermöglichen. Dies rührt zum Teil daher, dass die erhaltenen Eindrücke selbst verschwommen oder symbolisch verschlüsselt sind, zum Teil auch daher, dass es Hellsichtigen im allgemeinen an dem nötigen medizinischen Wissen mangelt, sie richtig zu interpretieren. 5. Oft nennen Psi-Diagnostiker eine derartige Vielzahl von angeblichen Krankheiten, dass
irgendeine davon mit großer Wahrscheinlichkeit vorliegen wird. 6. Psi-Diagnostiker schlagen häufiger Alarm, als Entwarnung
zu geben – nach dem Motto: Wenn jemand meint, ihm fehle etwas, dann wird es wohl auch so sein, zumindest im “Feinstofflichen”. Vermutlich trübt der Geschäftssinn dabei mitunter den Siebten Sinn: Denn ohne Befund kommt der Klient womöglich nicht wieder. Und so definiert der “hellsichtige” Teil der Heilerszene einen “Gesunden” vorzugsweise als jemanden, dem noch keine Diagnose gestellt worden ist. 7. Viele Psi-Diagnosen wirken als self-fulfilling prophecies, als Prophezeiungen, die sich selbst erfüllen. Konfrontiert mit vermeintlichen "Enthüllungen" über versteckte Leiden oder die wahren Ursachen offensichtlicher Beschwerden, achten Patienten anschließend in der Regel besonders aufmerksam auf entsprechende Anzeichen; viele beginnen sie geradezu ängstlich zu erwarten. So kann eine übersinnlich festgestellte "Magenschwäche" dann leicht zu passenden Symptomen führen,
auch wenn zum Zeitpunkt der Diagnose noch keine Rede von derlei Beschwerden sein konnte. 8. Die Übereinstimmung verschiedener Psi-Diagnostiker bei ein und demselben Patienten ist weit davon entfernt, hundertprozentig zu sein. (Dass dies allzuoft auch für Ärzte gilt, ist für Klienten ein schwacher Trost.) 9. Selbst wenn Psi-Diagnostiker einmal richtig liegen, bleibt offen, ob sie sich nicht bei Zeitangaben vertun: Eine Krankheit beispielsweise, die sie innerhalb der
nächsten Monate ausbrechen sehen, kann durchaus schon akut oder bereits überstanden sein – oder erst Jahre später auftreten. Wie kann ein Seher Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verwechseln, während er im übrigen recht behält? Außersinnliche Eindrücke, wie alle geistigen Bilder, sind "zeitneutral": Ein und derselbe Bewusstseinsinhalt kann eine Erinnerung, eine Wahrnehmung oder eine Erwartung sein. Sie auseinanderzuhalten, fällt Sensitiven selbst dann schwer, wenn ihre
Angaben im übrigen zutreffen. Dadurch sorgen sie bei Klienten oftmals für erhebliche Verwirrung. Auch über- oder unterschätzen sie Zeiträume häufig. (Auf diese Fehlerquelle außersinnlicher Wahrnehmungen gehe ich näher ein in Die Jagd nach Psi – Über neue Phänomene an den Grenzen unseres Wissens, Freiburg 1989, S. 267 f.) 10. Oft scheinen Psi-Diagnostiker telepathisch
aufzunehmen, was ihre Klienten oder deren Bezugspersonen an Ahnungen, Befürchtungen und Vorstellungen mitbringen, und verwechseln sie mit eigenen hellsichtigen Erkenntnissen. Auch daraus können gravierende Diagnosefehler entstehen. 11. Geistigen Abstand sollten Patienten insbesondere von Heilern halten, die vorgeben, sie könnten nicht nur Krankheiten zuverlässig psi-diagnostizieren, sondern darüber hinaus auch deren “wahre” Gründe. Manch tiefgläubiger, selbstloser Helfer entpuppt sich dabei als religiöser Eiferer, der den Verlust von Gesundheit als verdiente göttliche Strafe für Sündhaftes deutet – und durchblicken lässt, eine Genesung setze voraus, dass der Betroffene erst mal ausreichend büßt und bereut. Reinkarnationsgläubige - unter westlichen Heilern bilden sie mittlerweile die Mehrheit - führen Krankheit wie selbstverständlich auf fatale Ereignisse in
früheren Leben zurück, wozu auch schwere moralische Verfehlungen gerechnet werden. Derart “aufgeklärte” Klienten sind hinterher nicht nur, wenn sie Pech haben, ebenso krank wie zuvor – obendrein müssen sie sich auch noch schuld daran fühlen.
Wie sollten Patienten mit “Psi-Diagnosen” umgehen? Sollten Sie, angesichts der zahlreichen Fehlerquellen und
Gefahren, lieber gar nicht erst danach fragen, worauf ein Geistheiler Ihr Leiden zurückführt - und weghören, nicht weiter ernst nehmen, was Ihnen darüber vorgetragen wird? Aber auch der Heiler selbst gerät in eine Zwickmühle: Soll er seinen Klienten einschenken, was er für reinen Wein hält - d.h. sie darüber aufklären, was er über ihr Leiden außersinnlich zu erkennen meint -, und sie dadurch vielleicht unnötig ängstigen? Oder soll er verschweigen, was er sicher zu wissen glaubt - und somit
eine frühzeitige, möglicherweise sogar lebenswichtige Warnung unterlassen, zu der er moralisch verpflichtet wäre?
Auch wenn Psi-Diagnosen von Unfehlbarkeit weit entfernt sind, Richtiges und Falsches meist unentwirrbar vermischt ist, können sie doch manchmal zumindest wichtige Fingerzeige, erste Anhaltspunkte liefern, wie sich in medizinischen Tests zeigte. Statt eine angeblich “hellsichtige” Offenbarung ohne weiteres für bare Münze zu nehmen, sollte der Patient sie
schleunigst ärztlich überprüfen lassen. Nur so lässt sich ihr Gefahrenpotential entschärfen. Aber wie verhält man sich bei Psi-Diagnosen, deren Überprüfung unmöglich ist?
Das hängt von der Art des Befundes ab. Die meisten Geistheiler beschränken sich auf den Bereich des "Energetischen": Sie treffen Aussagen über den Zustand Ihrer Aura ("Im Magenbereich ist sie dunkler und schwächer") oder über Ströme und Gleichgewichte Ihrer Lebensenergie ("Der X-Meridian ist blockiert", "Ihr Y-Chakra arbeitet nicht richtig"). Diese angeblichen energetischen Störungen haben sich
entweder bereits körperlich ausgedrückt - dann müssten sie, sofern sie keine Hirngespinste sind, über kurz oder lang auch von einem gewissenhaften Schulmediziner feststellbar sein. Oder sie beschränken sich bisher nur aufs Unkörperliche - dann disponieren sie allenfalls zu entsprechenden Erkrankungen, müssen aber nicht und niemals manifest werden. Denn zu den zentralen Annahmen der energetischen Medizin gehört es, dass jene inneren
Prozesse, die über Gesundheit oder Krankheit entscheiden, nicht autonom ablaufen, sondern durch eine geeignete Geisteshaltung und psychische Verfassung nahezu grenzenlos steuerbar sind: etwa durch größere innere Ruhe und Gelassenheit, durch bewussteres, tieferes und ruhigeres Atmen, durch freiere, unverkrampftere Körperhaltung und Bewegung, durch den Abbau von Ängsten, Aggressionen und Konflikten, durch positives Denken und bestärkende Autosuggestionen. Sich darum zu bemühen, ist in jedem
Fall empfehlenswert - gleichgültig, ob die energetische Diagnose zutrifft oder nicht.
Wie verhalten Sie sich, falls Ihnen ein Psi-Diagnostiker, vorgeblich "außersinnlich", eine lebensbedrohliche Erkrankung "ansieht" und den nahen Tod prophezeit?
Von ihm sollten Sie sich schleunigst verabschieden. Denn er verstößt verantwortungslos gegen eine ethische Grundforderung an seriöse Heilbemühungen: Patienten darf nicht bange gemacht werden. Denn Angst kann nicht nur zu einer stärkeren Belastung werden als die Erkrankung selbst - schlimmstenfalls führt sie jene Katastrophe, auf die sich bezieht, überhaupt erst herbei. Wer hypochondrisch einen Tumor in seinem Körper vermutet, dürfte ihn mit erhöhter Wahrscheinlichkeit irgendwann auch einmal bekommen - vermittelt über neuroimmunologische Prozesse, die seine Psyche unter anhaltendem Angststress in Gang setzt und chronisch aufrechterhält.
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