Dass Heilfähigkeiten nachlassen, sobald sie als Einkommensquelle
dienen, ist eine vorerst unbestätigte empirische Hypothese, die man besser in vergleichenden wissenschaftlichen Tests entscheiden sollte als im esoterischen Nebel des Wähnens und Argwöhnens. Jedenfalls kenne ich armgebliebene Heiler, die nahezu unentwegt die Hände falten, wenn sie sie nicht gerade aufhalten, um ihre Mitmenschen anzupumpen, jämmerlich wehklagend ob der Ungerechtigkeit dieser Welt - und trotzdem kaum Schwerwiegenderes zu lindern verstehen als gelegentliches Kopfweh und
Schlafstörungen der harmloseren Art; ebenso kenne ich Heiler, deren Kontostände auf Chefarztniveau liegen - dafür aber selbst bei metastasiertem Krebs wahre Wunder vollbringen. Unergründlich ist Gottes Ratschluss: Auch die vermeintlich Unwürdigen stattet er mitunter reichlich mit Talenten aus.
Wer sich als ernteunlustiger Himmelsvogel wohler fühlt, möge weiterhin getrost in Wolkennähe schweben. Die meisten Heiler indes haben Bodenkontakt, und dabei spüren sie, von der Lottofee
hartnäckig im Stich gelassen, schmerzlich die Bedrängnisse des materiellen Daseins. Von ihrer Berufung überzeugt, haben viele eine gesicherte Existenz in einträglichen Berufen aufgegeben. Nicht verdienen, sondern dienen ist seither ihr Hauptziel, wenn auch nicht ihr einziges. Denn auch ihnen erspart der Himmlische Vater nicht Wohnungsmieten, Einkäufe von Lebensmitteln und Kleidung, von Einrichtungsgegenständen und Transportmitteln, von Wasser, Strom und Müllabfuhr. Manche müssen Partner,
Kinder und weitere Angehörige miternähren, bei erheblichem Patientenzustrom durchaus auch eine Sekretärin. Ist es da unanständig, Geld anzunehmen? Auch Heiler, wie alle Dienstleister, tragen Verantwortung meist nicht nur für Klienten, sondern für weitere Personen in ihrem Umfeld - und auch für sich selbst. Wer unentwegt ums nackte Überleben kämpfen muss, ist selten imstande, die innere Ruhe, Gelassenheit und Geduld aufzubringen, die fürs Heilen nötig ist. "Wer arbeitet, hat ein Anrecht
auf Lohn", heißt es schon im Lukas-Evangelium (10,7).
Kein Kranker, darüber besteht auch außerhalb der Heilerszene Konsens, darf von gesundheitlicher Fürsorge ausgeschlossen werden, bloß weil er sie sich nicht leisten kann. Wer will schon eine Zwei-Klassen-Medizin? Dieser Ansicht sind allerdings auch Heiler, die auf Honorarbasis arbeiten. Kaum einer ist herzlos genug, kein Auge zuzudrücken, wenn ein Hilfesuchender mit leerer Brieftasche ankommt; die meisten behandeln dann
ausnahmsweise gratis oder zu deutlich ermäßigtem Tarif - im Unterschied etwa zur Ärzteschaft.
Es trifft zu, dass Geistheilung nicht zu jenen Dingen gehört, die einem Kunden als fertige Produkte ausgehändigt werden können, so wie eine Semmel gebacken über den Ladentisch wandert. Damit verbietet sich indes nur, die Heilung selbst zu verkaufen - und wieviele Heiler tun dies denn? Was sie sich üblicherweise vergüten lassen, ist der Zeitaufwand, den sie für ihre Bemühungen aufbringen. Wäre dies unanständig, so müssten, aus Gewissensgründen, auch Kindermädchen und Psychotherapeuten, Lehrer und Masseure ihre Gehaltsvorstellungen schleunigst überdenken.
Bei Stefan Zweig, dem vielzitierten Kritiker unseriösen Geschäftsgebarens in der Heilerszene, sollte man im übrigen genauer nachlesen. Was er anprangert, ist durchaus nicht das Geldverdienen an sich - sondern eine Heuchelei, die er speziell bei der Gründerin der "Christian Science"-Kirche, Mary Baker-Eddy, auszumachen glaubte: eine raffgierige "maßlose Geldfreude" im Mäntelchen aufopferungsvollster Gottesnähe, die allen irdischen Versuchungen zu trotzen vorgibt - die sonderbare Doppelliebe sowohl zum Heiligenschein als auch zum Geldschein. Ihn empört, daß jemand "aus seiner Verachtung der Materie jährlich Millionen von höchst materiellen Dollars scheffelt". Damit legt Zweig den Finger auf ein nach wie vor verbreitetes, doch keineswegs heilertypisches Ärgernis: Heuchelei in Geldangelegenheiten. Die meisten Heiler indes, die sich ihre Dienste bezahlen lassen, machen daraus keinerlei Hehl. Sie stehen dazu, auch dann, wenn es nicht bloß zu einer heruntergekommenen Einliegerwohnung an der Hauptverkehrsstraße reicht, sondern zu einem schmucken Häuschen im Grünen samt Auto der gehobenen Preisklasse. Sollten Patienten sich darüber den Kopf zerbrechen? Taugt die Hilfe, die ihnen widerfährt, denn weniger, wenn sie den Helfer zugleich gut leben und nicht bloß dahinvegetieren läßt? Die streitbarsten Verfechter des Postulats, dass Geistheilung keinen Pfennig kosten dürfe, habe ich im übrigen unter jenen gefunden, die sich so viel Altruismus schmerzfrei leisten können: bei Heilern nämlich, die ein gutverdienender Ehepartner oder Lebenspartner großzügig aushält, oder die von Erbschaften, gutdotierten Nebenjobs oder anderen Einkommensquellen sorglos zehren können. Wird hier weniger geheuchelt?
Kurzum, was an Grundsätzlichem gegen das Geldverdienen durch Geistiges Heilen vorgebracht wird, überzeugt herzlich wenig. Nicht viel einleuchtender fallen allerdings etliche Begründungen dafür aus, allen voran die esoterisch kunstvoll verbrämten. So scheint manchen Heilern ein "Energieausgleich" geboten, der Geldflüsse einschließt: Sie selbst wenden für ihren Klienten ja schließlich "Energie" auf. Dadurch entstehe in der Zweierbeziehung ein Ungleichgewicht, das durch die Honorarzahlung wieder "ausgeglichen" werden müsse: eine vor allem in der Reiki-Szene populäre Rhetorikübung. Mark Twain, ein weiterer spöttischer "Christian Science"-Kritiker, hätte hierzu die Empfehlung parat, unsichtbare Kräfte am passendsten mit unsichtbaren Schecks zu begleichen. Selbst ungeschriebene "kosmische Gesetze" werden bemüht: das "Karmagesetz" etwa, demzufolge "jede unserer Handlungen Reaktionen nach sich zieht, durch die wir uns mit anderen Menschen verstricken. Um diese Verstrickungen aufzulösen, müssen wir das Gesetz der Fülle beachten, das heißt: Geben wir unsere Zeit, unseren Raum, menschliche Zuwendungen, so machen wir andere Menschen von uns abhängig. Von dieser Abhängigkeit kann sich der zu Heilende quasi freikaufen, sei es durch Spenden oder durch einen festen Betrag. Würde dieser materielle Austausch nicht stattfinden, so würde das aufgebaute Karma den Weg zur freifließenden bedingungslosen Liebe für beide blockieren. Daher müssen wir als Menschen den materiellen Austausch vornehmen." Da muss einem angst und bange werden um die künftigen Inkarnationen aller ehrenamtlichen Helfer bei der Freiwilligen Feuerwehr, beim Rettungsdienst oder beim Naturschutz: "Karmisch verstrickt" haben dürften sie sich schon hundertfach.
Bedenkenswert ist dagegen ein psychologisches Argument: Ein Heiler, der jegliche finanziellen Zuwendungen ablehnt, verkennt die therapeutische Funktion des Honorars. Westlicher Materialismus hat Menschen darauf konditioniert, den Wert von Dingen und Leistungen nach ihrem Preis zu bemessen; "was nichts kostet, kann nicht viel wert" sein, so meinen viele. "Ein Arzt, der umsonst heilt, heilt umsonst", heißt es schon im Talmud, der heiligen Schriftensammlung des Judentums. Insofern verstärken Zahlungsverpflichtungen wünschenswerte Placebo-Effekte. Wer Skrupel hat, Bares anzunehmen, dem bleibt unbenommen, es an gemeinnützige Unternehmungen abzuführen. |