Wie ergeht es einem esoterisch unvorbelasteten Hilfesuchenden, den verheißungsvolles Medientamtam über wundersame Genesungen veranlasst, sich in die Esoterikszene hineinzuwagen, um dort nach sogenannten "Geistheilern" zu suchen?
In welch tragikomische Notlage er dabei
heutzutage gerät, führen Analogien mit einem gar nicht so weit hergeholten Gedankenspiel vor Augen. Stellen wir uns jemanden vor, der sich unter dem Eindruck von Karl-May-Lektüre, den Bad Segeberger Festspielen und etlichen Kinofilmen in den Wilden Westen aufmacht, um dort echten Indianern leibhaftig zu begegnen. Dort eingetroffen, wird er von einer Menge Bleichgesichter begrüßt, die auf Indianerschulen gelernt haben, sich wie Indianer zu kleiden und zu sprechen, sich Haut und Haare
indianermäßig zu färben usw. Als zahlende Mitglieder von Vereinen für Indianerwesen können sie Diplome als "Anerkannter Indianer" vorweisen, nachdem sie vor Prüfungskommissaren, um deren indianische Herkunft nur diese selbst sicher wissen, binnen einer Stunde einen Indianerkodex auswendig aufsagten, die Ewigen Jagdgründe und andere Facetten des indianischen Weltbilds erläuterten sowie ihr Indianersein "demonstrierten", indem sie wie Indianer tanzten, trommelten, Schminke
auftrugen, Lagerfeuer entfachten und an einer Friedenspfeife nuckelten. Von solchen karnevalistischen Winnetous ist unser fiktiver Wilder Westen voll. Doch wo stecken die echten Ureinwohner? Von dem Mummenschanz befremdet und angewidert, haben sie sich längst in entlegene Gegenden zurückgezogen, in die keine bequem asphaltierte Straße führt; in Branchenbüchern, in Ausstellerverzeichnissen, im Internet sucht
man sie vergebens, keine Landkarte gibt Aufschluss über ihre Aufenthaltsorte.
Der Vergleich hinkt, weil der Wildwesttourist, sobald ihn Zweifel plagen, verkleideten Pseudoindianern auf die Schliche kommen kann, indem er ihnen mit Waschlappen und Seife zuleibe rückt. Pseudoheiler zu entlarven, fällt ungleich schwerer: Wessen therapeutische Taten nicht annähernd halten, was sein Name in Aussicht stellt, der kann sich auf dem Esoterikmarkt, Kreißsaal wie Friedhof ungezählter
Universalheilungsphantasien, aus einem schier unerschöpflichen Vorrat an Ausflüchten bedienen: Eine göttliche Vorsehung, das Karma des Patienten, seine mangelnde Offenheit oder eine ausstehende Lektion, die er aus seiner Krankheit erst noch lernen muss, verhindern halt, dass die mächtigen Heilimpulse zu ihm durchdringen. Einmal angeeignet, ist der Heilerstatus unanfechtbar, weil er in ein ideologisches Überzeugungsgeflecht eingesponnen ist, das ihn gegen Zweifel hermetisch abschottet; er
stützt sich auf nichtfalsifizierbare Leerformeln, wie der Wissenschaftsphilosoph Karl Popper gesagt hätte. Heutige Heiler an ihrem Unvermögen zu messen, gleicht daher dem Bemühen, eine Wolke an die Wand zu nageln.
Wie die Heilerszene derart verkommen konnte; wovor Hilfesuchende deswegen auf der Hut sein müssen; wie sie die raren Könner ausfindig machen können: all dies verdeutliche ich in meiner Schrift Heilen “Heiler”?. Sie entstand aus einem Vortrag, den ich im März 2006 in der Stuttgarter Liederhalle hielt. Die Resonanz darauf - von frustrierten Patienten, denen erste “Heiler”kontakte die Haare zu Berge stehen ließen, aber auch von erfahrenen älteren Heilern, die sich ihres Berufsstandes allmählich zu schämen
beginnen - hat mich darin bestärkt, daraus ein Buch zu machen.
Zum Leidwesen chronisch Kranker ist eine wunderbare Behandlungsform namens “Geistiges Heilen” vor unseren Augen dabei, vor die Hunde zu gehen. Sie stirbt nicht an den Giftpfeilen äußerer Feinde - böswilliger Skeptiker, betonköpfiger Schulmediziner, futterneidischer Heilpraktiker -, sondern verfault von innen her. Wer sie retten will, muss sie
inzwischen vor deutlich über 95 Prozent ihrer Anwender, und einem Großteil ihrer dubiosen Institutionen, in Schutz nehmen. Einer Geistheilung bedarf heutzutage zuallererst die Heilerszene selbst.
Um nicht nur zu lamentieren, sondern zu handeln, habe ich 2006 die “Internationale Vermittlungsstelle für herausragende Heiler” (IVH) ins Leben gerufen. In ihr sehe ich eine vielversprechende Chance für die Heilerbewegung, nach Jahrzehnten fataler Fehlentwicklungen gerade noch rechtzeitig die Kurve zu kriegen, ehe sie in der Bedeutungslosigkeit einer neoreligiösen Subkultur versinkt.
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