| sicherer, wenn der Wunsch zu einem tiefen Sehnen wird, Schmerz wegzunehmen und Leid zu lindern."1 Allerlei Lehrbücher multiplizierten seither die frohe Botschaft: "Jeder, der den ernsthaften Wunsch und echtes Interesse besitzt, kann seinen Geist und seine Hände zum Heilen gebrauchen. Die einzige Voraussetzung ist Interesse und Einfühlungsvermögen."2 - "Egal, ob Sie sich mit Esoterik auskennen oder an Gott glauben - Sie können in jedem Fall lernen, wie man die heilenden Kräfte richtig lenkt."3 - "Wir alle sind Heiler - jeder besitzt diese angeborene Fähigkeit... Es handelt sich also nur um eine Frage der Zeit und Energie, die Sie zu deren Entfaltung gewillt sind einzusetzen."4 - "Auch Sie können heilen. Jeder Mensch kann auf diese Weise helfen, vorausgesetzt, der angehende Heiler erfüllt die folgenden vier Bedingungen: 1. Sie müssen von dem starken Wunsch erfüllt sein, Kranke zu heilen... 2. Sie müssen wirkliches Mitgefühl für Kranke und Leidende empfinden... 3. Sie müssen an einen göttlichen Schöpfer glauben, für den alles möglich ist... 4. Sie müssen sich als Kanal für die Kraft Gottes öffnen..."5
Zumindest drei Prozent aller Erwachsenen vernehmen die Botschaft mit Freude: So viele trauen sich nämlich, einer westdeutschen Meinungsumfrage zufolge, selber Heilkräfte zu.6 Das wären hochgerechnet immerhin rund drei bis vier Millionen Menschen im deutschsprachigen Raum. Machen sie sich
allesamt etwas vor? Einen Disput im Grundsätzlichen ersparen könnte ein achtsamer Blick auf die Wirklichkeit des Heilens. Hierbei zeigt sich: "Die" typische Heilerkarriere gibt es nicht, sondern denkbar unterschiedliche Entwicklungswege (Siehe Geistheiler - Der Ratgeber, Kap. 34: “Wem die Götter Flügel schenken - Inwieweit Geistiges Heilen lernbar ist”): : - Die Fähigkeiten mancher Heiler scheinen regelrecht in der Familie zu liegen, sie wurden über Generationen weitergegeben. - Manchmal traten sie spontan schon in früher Kindheit auf, hin und wieder auch l nach Unfällen oder anderen lebensgefährlichen Situationen, oft verbunden mit einem Nahtodeserlebnis; l nach schwerer
Krankheit; l nach tiefen persönlichen Krisen; l nach einem physischen Zusammenbruch; l durch zufälliges Ausprobieren (meist an kranken
Angehörigen, Freunden, Bekannten, Arbeitskollegen; manchmal auch an Tieren) l durch Hinweise von anderen (Heilern, Medien, Hellsichtigen) l durch ein "Erleuchtungserlebnis", etwa in einer Vision oder einer “inneren Stimme”
folgend; l durch Selbststudium; l durch eine Ausbildung. Familiäre Vorbelastung, zufälliges Ausprobieren, Visionen, lebensbedohliche Situationen - all das und mehr kann am Beginn einer Heilerkarriere stehen. Wie zahlreiche Heilerbiographien nahezulegen scheinen, ist geistiges Heilen aber zumindest eine Fähigkeit, die sich auch lehren, erlernen und lernend weiterentwickeln lässt - und eben nicht nur eine göttliche Gabe, die wenigen Auserwählten schicksalshaft und unergründlich zuteil wird. Nicht einmal jeder zehnte Heiler bestreitet dies; 35 Prozent halten eine Ausbildung für ”notwendig”, weitere 46 Prozent zumindest für ”wünschenswert”7, also jedenfalls für möglich.
Der vermeintliche Gegensatz - Geistiges Heilen: Gabe oder Lernerfolg? – scheint sich somit in Wohlgefallen aufzulösen. Verhält es sich hier nicht wie bei jeder beliebigen anderen Fähigkeit: Ein wenig Talent sollte schon sein, aber erst Lernen bringt es zur Entfaltung? Doch so einfach liegen die Dinge nicht.
Wer von einer Fähigkeit behauptet, sie sei lernbar, muß erklären können, wie er den Lernerfolg feststellt – woher er weiß, daß nach Abschluß der Lernphase mehr davon vorhanden ist als vor Beginn. Und er muß zeigen können, wie die Art und Weise, die Lehrzeit zu gestalten, mit dem Lernerfolg zusammenhängt; nur so kann er die Ausbildung mit Inhalten füllen, die nicht beliebig, sondern förderlich sind, und zwischen vielerlei denkbaren (und praktizierten) Ausbildungsalternativen die beste wählen – das heißt diejenige, deren Absolventen die betreffende Fähigkeit tatsächlich beherrschen, und das möglichst gut.
In all diesen Hinsichten wirft Geistiges Heilen vertrackte Probleme auf.
Gewiß gehören zu einem guten Heiler eine Menge Eigenschaften, die sich durchaus schulen und testen lassen: etwa soziale, insbesondere kommunikative Kompetenzen; die Technik der jeweiligen Heiltradition, ihre Geschichte und zugrundeliegende Theorie; Paragraphenkenntnisse von einschlägigen Sanitätsgesetzen und Ehrenkodices usw. Doch nachdem sich ein Lehrling all dies angeeignet und unter Beweis gestellt hat, bleibt immer noch die Frage: Kann er wirklich heilen?
Das heißt: (a) Ist er imstande, bei einem signifikant hohen Anteil von Patienten gegen medizinische Prognosen gesundheitliche Fortschritte zu erreichen? Und (b) gelingt ihm dies nicht bloß als laienhafter Psychotherapeut und Suggestivkünstler, sondern durch das Beherrschen einer physikalisch noch unergründeten “Energie” zu therapeutischen Zwecken? Nichts, was derzeit in Abschlußprüfungen von Lehrinstituten und Prüfungskommissionen von Heilerverbänden zur Anwendung kommt, ist auch nur annähernd geeignet, diese beiden Fragen zu beantworten; die Intuitionen von Prüfern, Probebehandlungen an Testpersonen oder Empfehlungsschreiben von ein paar Patienten oder Heilerkollegen sind jedenfalls fragwürdige Kriterien, die höchstens Insider zufriedenstellen.
Wenn aber die Fähigkeit zu heilen im Grunde nicht objektiv feststellbar ist - zumindest nicht mit den bisher verfügbaren und eingesetzten Mitteln -, können wir vorerst leider auch nicht sagen, welche Ausbildungen die besseren Heiler hervorbringen. Ja, wir können noch nicht einmal entscheiden, ob ausgebildete Heiler besser sind als unausgebildete. Jedenfalls finden wir herausragende Heiler nicht selten unter sogenannten
"Naturtalenten", denen ihre Fähigkeit wie aus heiterem Himmel "zufiel" und die sie seither eher intuitiv anwenden, als irgendwelchen esoterischen Methodenlehren und Theorien zu folgen. Daraus droht die ernüchternde Konsequenz: Heilen gelernt hat einer, wenn er meint, er könne es, und genügend andere findet, die ihm das abnehmen. Und das Versprechen: "Auch du kannst Heiler werden" klingt arg nach: "Auch du kannst Opernsänger werden." Erhielten wir alle
eine intensive Gesangsausbildung, so würde sich ein "Ave Maria" auch aus unserer Kehle vielleicht so passabel anhören, daß es manchem Nachbarn in rührseligen Momenten eine Gänsehaut über den Rücken jagt; die Pavarottis jedoch blieben nach wie vor dünn gesät.Viele Heiler - vor allem jene, die sich mit der Ausbildung von Nachwuchs grosse Mühe geben - sind da ganz anderer Meinung. Aber eben darin liegt die Krux der ganzen Debatte ums Heilenlernen: Weil objektive Maßstäbe fehlen,
bewegen wir uns notgedrungen auf der Ebene des Mutmaßens, des Schöpfens aus persönlichen Erfahrungsschätzen - und damit in einem Bereich, in dem Kontroversen vorerst unentscheidbar bleiben. Warum boomt das Heilenlernen seit Jahren, trotz dieser Unsicherheit? Ein Teil der Wahrheit steckt vermutlich in wirtschaftlichen und juristischen Rahmenbedingungen, denen sich auch praktizierende
Esoteriker selten entziehen.
1. Heilerausbildungen sind vergleichsweise lukrativ, gemessen am Zeitaufwand oft einträglicher als Einzelbehandlungen. Bis zu fünfstellige Summen werden dafür verlangt und bezahlt. 2. Heiler auszubilden, ist meist mit deutlich weniger Stress und Verantwortung verbunden, als zu heilen. 3. In den meisten westlichen Ländern ist medizinischen Laien, die keine ärztliche Approbation oder eine sonstige staatlich festgestellte therapeutische Qualifikation vorweisen können, das Behandeln von Krankheiten strikt untersagt; demgegenüber erspart sich juristische Scherereien, wer das Behandeln lediglich lehrt.
Aus all diesen Gründen wäre die Idee, Heilen sei lernbar, selbst dann groß in Mode, wenn sie eine Fiktion wäre: Denn fast alle Beteiligten profitieren davon – von den Patienten einmal abgesehen. “Der Film”, meinte Alfred Hitchcock einmal, “ist vielleicht die einzige Branche, in der sich mancher als Meister fühlt, bevor seine Lehrzeit überhaupt begonnen hat.” Mit der westlichen
Heilerszene war er offensichtlich nicht vertraut. 1 Harry Edwards, Wege zur Geistheilung, 1963 2 Keith Sherwood, Die Kunst des spirituellen Heilens, 1984 3 Ric Weinman, Deine Hände heilen, 1988 4 Eileen Herzberg, Praktisches Handbuch der Geistheilung, 1989 5 Alan Young, Das ist Geistheilung, 1981 6 Wickert-Institute, Juni 1991.
Befragt wurden 1795 Westdeutsche. 7 Nach Markus Binder/Barbara Wolf-Braun: “Geistheilung in Deutschland. Teil 1: Ergebnisse einer Umfrage zum Selbstverständnis und zur Arbeitsweise Geistiger Heiler und Heilerinnen in Deutschland.” Zeitschrift für Parapsychologie und Grenzgebiete der Psychologie 37/1995, S. 145-177.
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