Wieviel ist das Prana-Heiler-”Zertifikat” wert?
Wer zu witzeln wagt, der Name klinge eher nach dem Tagesgericht beim chinesischen Schnellimbiss um die Ecke, macht sich in gewissen Kreisen beinahe schon der Häresie verdächtig. Denn "Master" Choa Kok
Sui, ursprünglich Chemie-Ingenieur und Geschäftsmann in Manila, zählt zu den meistverehrten Schulgründern innerhalb der alternativen Gesundheitskultur. Dem Charisma des philippinischen Heilers chinesischer Abstammung, aber auch seinen glänzenden Marketingstrategien verdankt das Pranic Healing einen der steilsten Aufstiege in der fluktuationsanfälligen Hitliste esoterischer Therapierichtungen. Beim Prana-Heilen handelt es sich überwiegend um ein weiteres Amalgam aus Bruchstücken alten chinesischen und indischen Heilwissens. Wie Anhänger zu wissen meinen, hat Choa Kok Sui es "seit etwa 25 Jahren gesammelt, in einem von ihm gegründeten Institut systematisiert und empirisch, das heißt experimentell, abgesichert".1 Gelegentlich ist von einem Meister Mahaguruji Mei Ling die Rede, von dem nicht viel mehr bekannt ist, als dass er (a) ziemlich erleuchtet gewesen sein muss und (b) Choa Kok Sui zu Beginn von dessen paramedizinischer Karriere exklusiv "eingeweiht" haben soll. Wie Mantak Chia, so wird auch Choa Kok Sui als besonderes Verdienst zugerechnet, er habe das ihm anvertraute "uralte Geheimwissen" genialerweise derart einfach und klar aufbereitet, dass es nunmehr mühelos zu verstehen und ebenso leicht wie flugs zu erlernen sei. Im Mittelpunkt von Kok Suis Konstrukt steht, was ihm den Namen gibt: das Prana. Wie das chinesische "Chi" oder das japanische "Ki", das griechische "Pneuma" oder das hawaiianische "Mana", so steht auch "Prana" für eine allgegenwärtige "Lebensenergie", die nicht nur das gesamte Universum erfüllt und alles mit allem verbindet, sondern auch jeden von uns umgibt, durchdringt und funktionieren lässt, im biologischen Bereich ebenso wie im geistig-seelischen. Dieses Prana nehmen wir hauptsächlich aus Sonne, Luft, Erde und Nahrung auf. Genauer gesagt: Ein zweiter, "bioplasmatischer" oder "ätherischer" Körper tut es, der mit unserem physischen zu Lebzeiten aufs engste verbunden ist, sich aber gewöhnlich bis zu einem Meter über dessen Grenzen ausdehnt. Hellsichtige nehmen ihn als "Aura" wahr. (Über Anzahl, Art und Ausdehnung solcher "feinstofflicher" Energiekörper sind sich Esoteriker uneins: Oft ist von mehreren die Rede, die unseren physischen Leib wie unsichtbare Schalen mit unterschiedlicher Ausdehnung umgeben und sich gegenseitig durchdringen. Prana-Heiler werden lehrbuchgemäß dazu angehalten, von zwei "Auren" auszugehen: die "innere" soll etwa zehn bis zwölf Zentimeter außerhalb des physischen Leibs enden, während sich die "äußere" gewöhnlich bis zu einem Meter über dessen Grenzen ausdehnt.) Zu den wichtigsten Organen dieses bioplasmatischen Körpers zählen die Chakren (oder Chakras),
auf die sich Hinweise schon in den 800 bis 600 v. Chr. entstandenen Upanishaden, den heiligen Schriften der Hindus, finden lassen, ebenso in altägyptischen Schriften, im japanischen Zen-Buddhismus und andeutungsweise sogar in den schriftlichen Hinterlassenschaften unserer europäischen Ahnen.2 Das Wort «Chakra» stammt aus dem Sanskrit, einer im ersten Jahrhundert vor Christus aus einem indoarischen Dialekt entwickelten Kunstsprache, in der brahmanische Gelehrte disputierten und schrieben. «Chakra» heißt wörtlich «Rad», in Anspielung auf außersinnliche Eindrücke, von denen Hellsichtige und Heiler seit Jahrtausenden berichten: Sie nehmen am menschlichen Körper sieben runde Lichtzentren wahr, wie leuchtende Perlen auf einer gedachten Linie entlang der Wirbelsäule aufgereiht, vom Steißbein bis hinauf zum Scheitel. Diese Gebilde sollen sich radförmig bewegen. Sie werden als Wirbel, manchmal auch als vielblättrige Blüten beschrieben. Den Chakras werden vier Funktionen zugeschrieben. Sie nehmen auf.
Durch sie strömt die kosmische Energie ein. Sie geben ab: Die empfangene Energie verteilen sie auf die inneren Leitbahnen des Ätherkörpers (anstatt von «Meridianen» sprechen Inder von «Nadis»), und damit mittelbar auch auf die verschiedenen Körperteile und Organe. Sie verbinden: Über sie wirken die verschiedenen Energiekörper aufeinander sowie auf den physischen Leib ein. Und sie senden: Durch sie strahlen Menschen ihre geistig-spirituellen Schwingungen nach außen ab, auf
andere Personen und die übrige Umgebung. Jedes Chakra soll eine stielartige Verbindung zur Wirbelsäule aufweisen. Aus verschiedenen Punkten des Rückgrats entspringen gleichsam Blütenstengel, deren Kelche sich zu den Chakras hin öffnen. Außer den Hauptchakras - oft wird von sieben ausgegangen, "Prana-Heiler" rechnen mit elf - wollen Hellsichtige weit über hundert kleinere Nebenchakras ausgemacht haben. Gesundheit, als energetisches Gleichgewicht betrachtet, setzt voraus, dass die
Chakras ein- und ausfließende Energie ungehindert durchlassen. Sind sie «blockiert» oder einseitig entwickelt, so wird der harmonische Energiefluss im Inneren gestört; halten diese Störungen länger an, so entsteht Krankheit. Solange das Prana - Kok Sui spricht gelegentlich auch von "Bioplasma" oder "bioplasmatischer Materie" - in diesem ätherischen Double dank wohlfunktionierender Chakras ungehindert fließen kann, bleiben wir gesund; wir erkranken, wenn es zu
anhaltendem "Pranamangel" kommt, ein "Pranastau" eintritt oder Prana "verschmutzt" wird. Dazu führen, Kok Suis "Forschungsergebnissen" zufolge, vor allem "Stress, falsche Ernährung, negative Gedanken und aufgestaute Emotionen". Weil so entstandene "Disharmonien" im Lebensenergiefluss, lange bevor sie sich körperlich auswirken, schon Spuren in der Aura hinterlassen, besteht der erste Schritt des Prana-Heilens darin, sie durch
manuelles Abtasten der Aura, dem sogenannten Scanning, zu identifizieren, wofür die Hände des Prana-Heilers während der Ausbildung "sensibilisiert" worden sind. Im zweiten Schritt wird die Aura örtlich und allgemein "gereinigt", ein Vorgang, den Kok Sui Sweeping nennt. Dabei fährt der Prana-Heiler mit wischenden Handbewegungen in mehreren Zentimetern Abstand dem Körper entlang - und "entsorgt" das dabei "abgetragene" "schlechte Prana" mit pantomimenhafter Gestik, die es uneingeweihten Augenzeugen schwermacht, ihr Prana nicht durch die negative Emotion der Häme zu verunreinigen: Eine danebengestellte Schale mit einem Liter Salzwasser fungiert sozusagen als "energetischer Müllschlucker", in den hinein "schmutzige" Energie abgeleitet wird. Im dritten Schritt bemüht sich der Heiler, reines, sauberes Prana zu übertragen. Als sicherste Methode hierfür gilt "der Weg über die Chakras in den Handinnenflächen". Die eine Hand himmelwärts geöffnet, "nimmt" der Heiler Prana "auf", das er mit der anderen an den Klienten weitergibt. Dieses durchaus simple therapeutische Grundkonzept hat Choa Kok Sui nach und nach "verfeinert" und um Elemente ergänzt, die zumeist erst "Fortgeschrittenen" offenbart werden. Sie alle sollen dazu beitragen, die Effizienz des Prana-Heilens noch dramatisch zu steigern. Dazu zählt die "Meditation über die zwei Herzen", die nicht etwa einem dualen Koronarproblem gilt, sondern "das Herz- und das Kronen-Chakra aktivieren und entwickeln" soll. Denn beim Herzchakra in der Mitte der Brust handle es sich um den "Sitz der höheren Emotionen", während das Kronenchakra "auf dem Scheitel" "das Tor zum höheren spirituellen Bewußtsein" sei; wem es gelinge, sie "kraftvoll" meditierend anzuregen, der erlebe nicht nur "göttliche Liebe und Einheit", "innere Stille und Frieden", sondern führe auch eine "Verstärkung der Heilkraft und intensivierte Sensibilität" herbei. Hinzugekommen sind darüber hinaus im Laufe der Jahre der Einsatz von Kristallen ("Crystal Healing")
und Farben, die Fortgeschrittene "mittels bestimmter Techniken in einzelnen Chakren erzeugen"3; eine Ansammlung von Spezialunterweisungen bei geistig-seelischen Erkrankungen ("Pranic Psychotherapy"); die Kunst der Selbstverteidigung gegen schwarzmagische Zudringlichkeiten und andere "psychische Angriffe" ("Psychic Self-Defense"); sowie, als "spirituelle Untermauerung des
Prana-Heilens", das Arhatic Yoga, eine Sammlung von "kraftvollen" Meditationstechniken, die unter anderem zu "mehr Selbstverwirklichung", zur "Erweckung der Kundalini-Energie oder des ‚Heiligen Feuers'" und zur "proportionalen Ausbalancierung von Aspekten der Universellen Liebe" verhelfen sollen.4 Im Unterschied zu den meisten anderen Therapieimporten aus Fernost produziert die "Pranic Healing"-Schule
fertige Heiler nicht schon nach einem Einweihungswochenende. Das zum Ausüben nötige Wissen wird häppchenweise verabreicht, verteilt über mehrere aufeinander aufbauende Kurseinheiten5: 1. Grundkurs "Basic Pranic Healing": Er vermittelt das Heilkonzept und grundlegende Techniken, mit denen "hundert gewöhnliche Leiden behandelt" werden können. 2. Fortgeschrittenenkurs "Advanced Pranic Healing",
der unter anderem dazu befähigen soll, auch "schweren Erkrankungen" beizukommen, und ein "Master Healing" zum "Superenergetisieren" sowie für besonders "rasche Gesundung" vermittelt 3. Pranische Psychotherapie 4. Kristallheilen 5. Psychische Selbstverteidigung 6. Kriyashakti: Die "Wissenschaft von der Schaffung von Überfluss" 7. Arhatisches Yoga: "Das Yoga der Synthese" Ein einheitliches
"Zertifizierungsprogramm", von Manila aus zentral koordiniert und überwacht, legt im Detail fest, welche Kursteilnahmen mit anschließender Praxis dazu berechtigen, einen von vier hierarchisch gestuften Titeln zu führen: - Der "Eingetragene Prana-Heiler" (Associate Pranic Healer) hat die Kurse 1, 2, 3 sowie die "Vorbereitungsstufe" von 7 absolviert und anschließend "etwa ein Jahr lang" praktiziert. Außerdem muss er "25 schriftlich
dokumentierte Fälle (von erfolgreichen Prana-Heilungen) einreichen, die von den Patienten und einem ‚Certified Pranic Healer' unterzeichnet wurden". - Der "Prana-Heiler mit Zertifikat" (Certified Prana-Heiler) ist schon ein "eingetragener", hat darüber hinaus Kurse im "Prana-Kristallheilen", in "Psychischem Selbstschutz" und "Arhatischem Yoga Stufe 1 und 2" absolviert, praktiziert schon seit zwei Jahren und kann 50
dokumentierte Heilerfolge einreichen, darunter zehn psychotherapeutische. - Der "Zertifizierte Prana-Psychotherapeut" (Certified Pranic Psychotherapist) ist bereits ein "Zertifizierter Prana-Heiler" und kann 30 dokumentierte Heilerfolge bei psychischen Leiden vorweisen. - der "Senior-Pranaheiler mit Zertifikat" blickt schon auf fünf Jahre Erfahrung als Anwender zurück, "praktiziert die Arhatic Yoga-Stufen 3, 4 oder 5.1" und hat schon
"viele Schüler ausgebildet".
Inwieweit dieses ausgeklügelte Studienkonzept tatsächlich die besten Heiler hervorbringt, weiß vorerst niemand außerhalb des Kok Sui-Umfelds. Zwar quellen die Internetpräsenzen vieler Prana-Heiler und ihrer diversen Dach- und Unterorganisationen vielfach über von "Testimonials", begeisterten Dankschreiben von Patienten, die sich wundersam geheilt wähnen. Doch dabei handelt es sich ausnahmslos um Anekdoten bar jeglichen
medizinischen Belegs - was umso mehr überrascht, als der "Master" seine Anhängerschaft ausdrücklich auffordert; von der offiziellen Homepage seiner deutschen Sektion kann dafür sogar ein "Dokumentationsformular" heruntergeladen werden.6 Das gilt auch für drei Fälle von anscheinend erfolgreichen Prana-Fernbehandlungen, die im Internet mehrerorts zitiert werden: - Eine gewisse S. R. berichtet über ihre Tochter Lisa, die als Kleinkind unter einer starken Rachitis litt: einem Vitamin-D-Mangel, infolgedessen den heranwachsenden Zähnen zuwenig Kalzium zugeführt wurde. Als Spätfolge davon, berichtet die Mutter, seien die zweiten Zähne zum Teil geschädigt hervorgekommen; ein Frontzahn beispielsweise, der im Frühjahr 1999 aus dem Zahnfleisch herauswuchs, habe "tiefe Rillen und Furchen" aufgewiesen, und "vom Zahnschmelz fehlten ringsum ca. 1-2 mm". Vier Backenzähne hätten Lisa schon gezogen werden müssen. Als die Mutter im Juni 1999 an einem "Prana-Intensivkurs" in Spanien teilnahm, zeigte sie Choa Kok Sui ein Foto ihrer damals siebenjährigen Tochter. Der Meister kündigte eine "Fernheilung" an. "Lisa schlief darauf auffallend friedlich, die Hand auf dem Herzchakra", und das "drei Nächte lang", versichert S. R. "Inzwischen ist der Zahn ein Stück weiter gewachsen und sieht nun so aus: Das neue Stück Zahn ist nicht beschädigt. Ich danke Choa Kok Sui für die Heilung, an die ich bei jedem Lachen meiner Tochter erinnert werde."7 - Von einer Frau mit doppeltem Bandscheibenvorfall am vierten und fünften Lendenwirbel, mit Sequester (lat. "Abgesondertes") - einem abgestorbenen Knochenbezirk, der von gesundem Knochengewebe umgeben ist - und "erheblichen neurologischen Prozessen" berichtet die Wiener Prana-Heilerin Claudia Dieckmann, eine gelernte Betriebswirtin, die bis 1995 als Wirtschaftsprüferin und Geschäftsführerin eines Wohnungsunternehmens tätig
gewesen war, ehe sie über Reiki zum Prana-Heilen fand.8 Dieser Patientin habe sie sechs Wochen lang zweimal täglich "Fernenergie übertragen". Ein halbes Jahr später habe ein ärztlicher Untersuchungsbericht festgestellt, "die Operation samt Entfernung des Sequesters" sei "sehr gut gelungen". Als die Patientin darauf hinwies, in Wahrheit habe keinerlei Operation stattgefunden, hätten sich die Ärzte "sehr überrascht über die Geschwindigkeit gezeigt, in der die herkömmliche schulmedizinische Behandlung eine Selbstheilung angeregt" habe. - Wie Prana-Fernheilen eine Beinamputation verhinderte, weiß ein kolumbianischer "Zertifizierter Senior-Heiler" aus Bogota zu berichten.9 Ein paar Wochen nach seinem ersten Grundkurs in Prana-Heilen sei er mit der Not einer 68jährigen Freundin der Familie konfrontiert worden. An deren linkem Unterschenkel hatte sich ein schlimmes Erysipel gebildet: eine "Wundrose", bei der sich Haut und Unterhautgewebe entzünden. (Solche Entzündungen neigen tückischerweise zur Ausbreitung auf dem Lymphweg.) Betroffen war eine Stelle von immerhin schon zwölf Zentimetern Länge und sechs bis acht Zentimetern Breite; die Entzündung reichte so tief, dass schon der Knochen betroffen war. Vor Schmerzen habe die Frau kaum noch schlafen können. Ihre Ärzte erwogen bereits eine Beinamputation. Obschon gerade außer Landes, begann der Prana-Heiler sogleich eine Fernbehandlung. Und bereits in der Nacht nach der ersten "Energieübertragung" habe die Patientin zum ersten Mal seit vielen Monaten wieder tief und ruhig schlafen können. Tags darauf sei sie imstande gewesen zu gehen, nachdem sie zuvor monatelang bettlägrig gewesen war. Die entzündete Stelle "heilte derart gut, dass sich die Wunde innerhalb von zwei Wochen vollständig geschlossen hatte", versichert der Heiler. Insgesamt hätten bloß vier Fernbehandlungen stattgefunden. Choa Kok Sui ermutigt seine Schüler nicht nur mit Nachdruck, solche Fallbeispiele zu sammeln, ihm einzureichen und zu veröffentlichen - er versucht sie auch zu "ernsthafter Forschung" anzuregen, wofür er entsprechende "Richtlinien" verbreitet. Studien mit erfreulichem Ausgang stellt er im Internet vor. Dort finden sich bisher vier. Drei sollen den positiven Effekt des Prana-Heilens auf die schulischen Leistungen und Verhaltensmuster von Jugendlichen belegen; eine vierte soll nachgewiesen haben, dass Prana-Heilen Zellkulturen gegen radioaktive Bestrahlung schützen kann. Auch wer an diesen Befunden nichts zu mäkeln hat, kommt schwer um die Verwunderung herum, dass das schon alles sein soll. Insbesondere vermisst man unter den veröffentlichten "wissenschaftlichen Erkenntnissen" jene, die beizubringen Choa Kok Sui selbst angeblich 25 Jahre "intensiver" Forschung zugebracht hat. Worüber der Meister in dieser langen Zeit forschte, mit welchen Untersuchungsmethoden, mit was für Versuchspersonen und Zielobjekten, konnte mir bisher kein Prana-Heiler sagen; entsprechende Publikationen sucht man in der Fachliteratur vergeblich. Die wacklige "empirische" Fundierung schadet dem prosperierenden Business bisher freilich nicht im geringsten. Ähnlich wie Reiki, aber noch erheblich stärker zentralisiert und einen konsequenten Ein-Personen-Kult pflegend, hat sich "Pranic Healing"
zu einem multinational operierenden esoterischen Wellness-Konzern entwickelt, dessen profesionelle Vertriebsstrukturen, Werbestrategien und Marketingkonzepte dem Geschäftsmann Kok Sui deutlich mehr Ehre machen als belegte therapeutische Großtaten dem Heiler Kok Sui. Die Schaltzentrale der Macht sitzt auf den Philippinen. Hier präsidiert Choa Kok Sui dem "Institute for Inner Studies, Inc." in Makati City, einer "World Pranic Healing Foundation, Inc." sowie der "World
Pranic Healers Association", beide mit Sitz in Pasig City. Während das "Institut" das Prana-Heilen auftragsgemäß "in die Industrieländer" bringen soll, lautet die Mission der "Stiftung", Spendengelder einzusammeln, um Prana-Heilen in "Entwicklungsländern" zu verbreiten. Die "Heilervereinigung" reglementiert, koordiniert und überwacht weltweit das Ausbildungswesen, womit sie reichlich Arbeit hat: Denn von Ecuador bis Togo, vom Oman bis
Australien, von Lettland bis Nigeria wurden bereits 62 nationale Repräsentanzen aufgebaut. Für Deutschland werden rund 40 urkundlich anerkannte Prana-Heiler aufgelistet.10 Ihren "Koordinator" haben sie in dem Inder Sai Cholleti, einem studierten Fahrzeugbauer, aus dem "nach mehreren mystischen Erlebnissen" ein Yogalehrer wurde, ehe er Choa Kok Sui bei einem Ausbildungsseminar kennenlernte. Mitte der neunziger Jahre zog es Sai Cholleti mit seiner deutschen Ehefrau nach
München. Von dort aus entfaltet er rege Vortrags- und Seminaraktivitäten im deutschsprachigen Raum. Den Interessenverband und Förderverein "Prana Germany e.V." hat er mitbegründet. Allein mit Kursen und Büchern, die in über 27 Sprachen übersetzt worden sind,11 wähnt Choa Kok Sui den heilsuchenden Blauen Planeten offenbar noch unterversorgt. Weitere Bedarfslücken schließt er mit "Pranic Healing International",
einer Vertriebsgesellschaft, die einen regen Versandhandel mit allerlei CDs, Postern, medialen Bildern, Ölen, Essenzen, Kristallen, Heilsteinen und Anhängern mit Kok-Sui-Konterfei betreibt. Zu den Kassenschlagern gehört das "Prana-Wasser", ein in handelsübliche Plastikbehälter abgefülltes "Quellwasser mit Großmeister Choa Kok Suis besonderem Segen"; Kirlianbilder belegen angeblich, dass derartiges Wasser "eine mehr als dreißigfach höhere Auraschwingung aufweist"
als gewöhnliches H2O. Speziell für Prana-Heiler, die sich beim Aurasäubern nicht allein auf die eigenen Hände verlassen wollen, ist seit kurzem ein "Aura- und Chakra-Reinigungsspray" auf dem Markt.12 Nicht bloß die mannigfachen Manifestationen eines überbordernden ostasiatischen Geschäftssinns sind es, von denen sich Unvoreingenommene eher abgeschreckt und Skeptiker des "Prana-Heilens" bestärkt fühlen. Auch die an Heiligenverehrung grenzenden Respektsbekundungen, die der "Meister" und neuerdings "Großmeister" eher fördert als unterbindet, machen stutzig. Einerseits lässt er sich gerne für seine "übliche asiatische Bescheidenheit" loben.13 Andererseits quillt aus den offiziellen Homepages der "Pranic Healing”-Organisationen kübelweise Hinterhergeschleimtes, das die Aufnahmekapazität auch des voluminösesten Entsorgungseimers für schmutziges Prana voraussichtlich überfordern würde: ob nun Kok Suis grandiose Leistungen als Forscher gewürdigt ("the scientist of the soul"), sein schöpferischer Genius betont ("he even originated new, never before used
terms") oder seine Qualitäten als Lehrmeister unterstrichen werden ("a unique spiritual teacher for this modern time") - kurzum, ein "erleuchteter Guru".14
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