“Harald Wiesendanger - Der wissenschaftliche Grenzgänger”
H. Wiesendanger im Interview mit Modeblatt 7/1995, S. 60-64. Von Meta Zweifel
(Vorwort der Redaktion:) “Dr. Harald Wiesendanger ist alles andere als ein Marktschreier, der das Phänomen “Geistiges Heilen” unbedingt populär machen möchte und in dieser Funktion gern im Rampenlicht stünde; Fernsehauftritte seien ihm, wie er sagt, “eher zuwider” - und das nimmt man dem zurückhaltend wirkenden Mann mit dem ernsten Gesicht auch ab. Im Gespräch mit dem Wissenschaftler, der Philosophie, Soziologie und Psychologie studiert hat, spürt man ein tiefes Engagement. (...)
Der Experte für die Erforschung des Geistigen Heilens lebt mit seiner Frau und zwei Töchterchen in einem kleinen Dorf bei Heidelberg. Er fühlt sich am wohlsten, wenn er in Ruhe gelassen wird und in aller Stille in seiner Presseagentur für Grenzgebiete der Wissenschaft oder an einem Buch arbeiten kann. Seine Zurückhaltung gibt er allerdings auf, wenn er - wie etwa voriges Jahr bei “Schreinemakers live” - via TV
-Fernheilungsexperimente das Thema Geistiges Heilen ins Gespräch bringen kann.
Geistheilung ist im positiven wie im negativen Sinn ein Reizthema. Wollten Sie mit Ihrer Publikation Das Große Buch vom Geistigen Heilen eine Marktlücke füllen?
Wiesendanger: Das hört sich so an, als hätte ich ausschließlich kommerzielle Interessen im
Sinn gehabt. Wie jeder seriöse Publizist will ich Menschen etwas mitteilen, das ihnen möglicherweise weiterhilft.
Sie sind doch sicher auch persönlich interessiert?
Wiesendanger
: Als Wissenschaftler interessieren mich grundsätzlich alle Phänomene, die im herkömmlichen physikalischen Weltbild noch nicht so recht Platz haben. Was sich manchmal in der Praxis von Geistheilern ereignet, ist mit den gängigen wissenschaftlichen Modellen nicht zu erklären. Kein Schulmediziner kann verstehen, wieso ein Mensch, der jahrelang unter einer chronischen Krankheit gelitten hat, sich schlagartig erholt, nachdem in einer Entfernung von Tausenden von
Kilometern sich ein Geistheiler auf ihn konzentriert hat. Noch verblüffender ist es, wenn die Beschwerden sogar dann geringer werden, wenn der Patient von der Behandlung überhaupt nichts weiß.
“Wer heilt, hat recht”, pflegt man zu sagen. Geistheiler bewegen sich aber doch in einer ausgesprochenen Grauzone?
Wiesendanger: In fast allen europäischen Staaten gelten sehr strenge Gesetze; Geistiges Heilen
ist fast gleichbedeutend mit einem ersten Schritt ins Gefängnis. Die meisten Geistheiler sind weder Ärzte noch staatlich anerkannte Heilpraktiker. Sie kommen deshalb selbst dann leicht mit Strafgesetzen in Konflikt, wenn sie nachweislich keinerlei Schaden angerichtet, sondern lediglich ohne staatliche Lizenz behandelt haben.
Aber offenbar dürfen sich Geistheiler via Inserat anpreisen?
Wiesendanger:
Dazu kann ich nur sagen: Hände weg von solchen Anpreisungen! Es muß zwar nicht jeder Geistheiler, der mit Inseraten für sich wirbt, unseriös sein. In der Regel ist es aber so, daß ein vertrauenswürdiger Heiler sich schon nach wenigen Monaten einen derart guten Namen gemacht hat, daß er einzig durch Mundoropaganda weiterempfohlen wird.
Welches sind denn die Merkmale eines verantwortungsbewussten Geistheilers?
Wiesendanger:
Ein seriöser Geistheiler hält seine Patienten nie von einer Arztkonsultation ab, und er macht keinerlei Versprechungen auf Heilungserfolg. Es gibt in diesem Bereich keine Garantien; wenn ein Heiler sich nicht an diesen Grundsatz hält, ist er ein Scharlatan.
Stellen Geistheiler Diagnosen?
Wiesendanger: Manche Heiler scheinen mit einem Röntgenblick in den Körper von Menschen schauen und versteckte Krankheiten entdecken zu können. Andere wieder sehen eine Aura, die den Körper umgibt und an bestimmten Stellen Lücken oder Farbveränderungen aufweist, die auf bestimmte Erkrankungen hinweisen sollen. Solche Eindrücke trügen zwar nicht immer, sind aber weitaus unzuverlässiger, als
hellsichtige Diagnostiker meinen. Sofern ein Arzt sie nicht überprüfen kann, treiben sie ein ganz gefährliches Spiel mit den Hoffnungen und Ängsten von kranken und hilfesuchenden Menschen.
Vermutlich ist bei Geistheiler-Honoraren ebenfalls Vorsicht geboten?
Wiesendanger: Auch Heiler brauchen Geld zum Leben; Vorsicht ist dann geboten, wenn zu horrenden Preisen Erfolgsgarantien verkauft werden. Ich erinnere mich an eine Ärztin, die an
Skelett-Metastasen litt und in ihrer Verzweiflung hoffte, bei einem Heiler Hilfe zu finden. Dieser teilte ihr schonungslos mit, dass ihr Körper mit Metastasen übersät sei: “Ein normaler Geistheiler kann da nichts mehr tun, der einzige, der Ihnen noch helfen kann, bin ich”, sagte er. “Kommen Sie in meine Klinik nach Bulgarien, für etwas mehr als 9000 Franken mache ich Sie garantiert wieder gesund.” Solche Praktiken widern mich an.
Ist das Geheimnis der Geistheilung eine intensive Zuwendung, welche die
Selbstheilungskräfte des Kranken anregt?
Wiesendanger: Mit Sicherheit spielen psychische Faktoren mit, die den Heilungsprozess unterstützen. Das läuft im Grunde bei jeder medizinischen Maßnahme genauso, Stichwort: Placebo-Effekt. (Siehe dazu das
Kapitel “Nur ein Placebo? Auseinandersetzung mit einem dürftigen Argument”, in Geistiges Heilen für eine neue Zeit, S. 203-213.) Es bleibt die spannende Frage, ob es bei der Geistheilung darüber hinaus mysteriöse Energien gibt, die Einfluß ausüben.
Und wie ist die Antwort?
Wiesendanger: Es sind unter wissenschaftlicher Aufsicht
Experimente durchgeführt worden, die psychische Faktoren von vornherein ausgeschlossen haben. In solchen Doppelblindversuchen wussten weder die Patienten noch die beteiligten Versuchsleiter oder die Ärzte, wer auf geistigem Wege behandelt wurde. Selbst unter diesen Bedingungen haben sich Heileffekte gezeigt, die niemand für möglich gehalten hätte. Es haben übrigens auch Experimente mit Pflanzen und mit Enzymen stattgefunden. Sogar hier ist es zu Effekten gekommen,
über die man nur staunen, die man aber nicht erklären kann, weil sich die einwirkenden Energien von allen bekannten physikalischen Energien unterscheiden.
Würden Sie in diesem Zusammenhang von “Wunder” sprechen?
Wiesendanger: Geistheiler sind keine Wunderheiler; ein Geistheiler kann beispielsweise kein amputiertes Bein nachwachsen lassen. Im Körper eines Patienten spielen sich unter der Einwirkung der Geistheilung keine übernatürlichen Entwicklungen ab, sondern ganz normale Selbstregulationsprozesse, die nachprüfbar sind. Der Heiler nimmt den kranken Menschen nicht aus den Naturgesetzen heraus, sondern
er beschleunigt - wenn auch auf unerklärliche Weise - ihr Wirken.
Können Sie sich eine Zusammenarbeit zwischen Schulmedizinern und Geistheilern vorstellen?
Wiesendanger: Es gibt sie längst - unter der Hand. Ich kenne in der Schweiz, aber auch in Deutschland und Österreich mehrere Ärzte, die Patienten an Geistheiler überweisen; und ebenso kenne ich hier mehrere Geistheiler, deren Praxen voll sind von hilfesuchenden Ärzten und deren
Angehörigen. (Siehe dazu ausführlich das Kapitel “Ärzte und Heiler: Vom Gegen- zum Miteinander” in Geistiges Heilen für eine neue Zeit, S. 135-214.)
Haben Sie sich schon einmal von einem Geistheiler behandeln lassen?
Wiesendanger: Bis jetzt war ich gottseidank kerngesund. Sollte mich aber das Schicksal
ereilen und mir eine schwere Krankheit auferlegen, wüsste ich mehrere Heiler, denen ich mich ohne weiteres anvertrauen würde.”
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