Magischer Hokuspokus? Erst Ende der siebziger Jahre begannen sich einige wenige westliche Mediziner für diese befremdliche Behandlungsweise zu interessieren. Eine Vorreiterrolle spielte dabei der Amerikaner David Eisenberg, ein Arzt am Beth-Israel-Krankenhaus in Boston. Gemeinsam mit seinem Kollegen Professor Herbert Benson von der Harvard Medical School reiste er deswegen nach China. Seine anfänglichen Vorbehalte begannen zu bröckeln, nachdem er einen der damals
berühmtesten Qi-Gong-Meister Chinas, Dr. Zhao Jinxiang, um eine Kostprobe seiner Fähigkeiten gebeten hatte: «Ich begann ein stechendes Kribbeln von den Schultern bis hinab in die Fingernägel zu spüren», berichtet der Arzt. «Die Empfindungen verstärkten sich, das Kribbeln wechselte in elektrische Schläge über. Es war, als hätte ich die Finger in Niedervolt-Steckdosen getan. Innerhalb von Sekunden nahm das Gefühl von elektrischen Schlägen in meinen Armen zu. Es war, als hätte jemand den Strom
der Steckdose intensiviert, in der meine Finger steckten ... Wenige Sekunden später hörte Zhao auf, und die abnormen Empfindungen endeten sofort. Ich war heilfroh, doch hatte ich keine Ahnung, was ich mit dieser Vorführung anfangen sollte.»
Der Energie, die der misstrauische Arzt am eigenen Leib erfuhr, wird an Dutzenden von Hochschulen und Forschungsinstituten in China nachgespürt - mit immer neuen verblüffenden Ergebnissen. So ließ der Mediziner Feng Li-Da am Pekinger Institut für
Immunologie einen Qi-Gong-Meister verschiedene Kulturen bösartiger Krebszellen behandeln. In einer einzigen Sitzung gelang es dem Getesteten, 30,7 Prozent aller Gebärmutterkrebszellen abzutöten. In einem weiteren Versuch starben 25 Prozent aller malignen Magenkrebszellen ab. Anfang 1990 berichtete Hua Yin, ein «Magazin für chinesische Naturheilkunde» (so der Untertitel), über Forschungsergebnisse, denen zufolge Qi Gong die Menge an CAMP - zyklisches Adesinmonophosphat - in menschlichen Zellen
erhöhen konnte. (CAMP gilt als Informationsüberträger. In Krebszellen kommt es weniger vor als in gesunden Zellen.) Die beiden Mediziner Guo und Ni wählten an einer Augenklinik nach dem Zufallsprinzip 80 Kinder zwischen zwölf und achtzehn Jahren aus, die an extremer Myopie (Kurzsichtigkeit) litten. Nach einer gründlichen augenärztlichen Untersuchung, bei der die Sehfähigkeit präzise gemessen wurde, teilte man die Kinder in vier Gruppen ein. Die erste Gruppe erhielt Placebo-Augentropfen, eine weitere blieb, zur Kontrolle, unbehandelt. Die dritte Gruppe erhielt zweimal wöchentlich Qi-Gong-Unterricht, mit Übungen zur energetischen Selbstheilung. Die vierte Gruppe wurde von einem Qi-Gong-Meister behandelt, der täglich zwanzig Minuten lang bei jedem Kind eine Hand vor die Augen und eine hinter den Kopf hielt, um dabei «externes Qi» abzugeben. Zwei
Monate später hatte sich in der Placebo-Gruppe ebensowenig zum Besseren gewendet wie in der Kontrollgruppe. Das Sehtraining hatte bloß in zwei Fällen zu leichten Fortschritten geführt - vielleicht, weil die beteiligten Kinder noch zu jung waren, um die nötige meditative Disziplin aufzubringen. Unter den 20 Kindern jedoch, deren sich der Qi-Gong-Meister angenommen hatte, war erstaunlicherweise bei 16 eine erhebliche Verbesserung der Sehfähigkeit festzustellen.
In der westlichen Welt
beginnt die Qi-Gong-Forschung gerade erst anzulaufen - mit vielversprechenden Ansätzen. So stellte Kenneth Sancier, Chemiker am renommierten Stanford-Forschungsinstitut in Menlo Park, Kalifornien, und stellvertretender Leiter eines Qi-Gong-Instituts in San Francisco, 1989 auf der International Bioenergetics Medicine Conference eine Studie vor, der zufolge sich Waiqi messbar auf die Belastbarkeit der Armmuskeln von acht Männern und Frauen auswirkte. Die bloße Absicht eines Qi-Gong-Meisters
reichte offenbar aus, sie zu stärken oder zu schwächen, obwohl die Beteiligten nicht wussten, in welche Richtung er sie zu beeinflussen versuchte. Welchen Stand die Qi-Forschung mittlerweile erreicht hat, verdeutlichte die erste Weltkonferenz für akademischen Austausch über medizinisches Qi Gong, zu der sich 600 Wissenschaftler und Ärzte aus über einem Dutzend Ländern 1988 in Peking trafen. Dort schilderte der chinesische Immunologe Gu Ligang, einer von 30 Qi-Gong-Forschern an der Pekinger
Hochschule für Traditionelle Chinesische Medizin, ein Experiment mit Tumorzellen: Krebsgewebe aus weißen Mäusen verteilte er auf zwei sterilisierte Glasbehälter; einen davon behandelten zwei Qi-Gong-Meister. Bei mehreren Versuchen dieser Art starb ein erheblich größerer Anteil von Krebszellen ab als in der unbehandelten Vergleichsprobe. «In China laufen derzeit mehrere hundert derartige Forschungsprojekte», berichtete Gu Ligang.
Wie mehrere Qi-Gong-Meister auf dem Kongress vortrugen,
heilen sie selbst schwerste innere Erkrankungen allein dadurch, dass sie den Qi-Energiefluss im Körper der betroffenen Patienten regulieren. Die 59jährige Chinesin Hu Yulan will damit schweren Herzleiden und neurologischen Störungen beigekommen sein. Ihr Landsmann Wan Suijan berichtete von einer 49jährigen Bäuerin, bei der ein großer, inoperabler Tumor im Gehirn festgestellt worden war; ihren Ärzten zufolge hätte sie sich damit abfinden müssen, innerhalb der nächsten zwei Monate zu sterben.
«Die Frau konnte kaum noch gehen», trug Wan Suijan vor, «weil der Tumor bereits auf Teile des Gehirns drückte, die den Bewegungsapparat kontrollieren.» Doch nach zehn Qi-Gong-Behandlungen habe die Frau wieder normal laufen können; der Tumor war geschrumpft, wie Röntgenbilder belegten.
«Wie und warum diese Prozedur wirkt, ist nach wie vor unklar», meint der deutsche Kongressteilnehmer Dr. Gabriel Stux, der in Düsseldorf eine Akupunkturklinik leitet; «aber auch die westliche Medizin
vertraut ja auf mancherlei Verfahren und Heilmittel, deren Wirkung sie noch längst nicht voll versteht.»
«Die gründliche wissenschaftliche Untersuchung solcher Phänomene ist auch in China gerade erst angelaufen», räumt der Biophysiker Liu Yaning vom Luftwaffenhospital Xidiaoyutai in Peking ein. «Doch viele unserer Wissenschaftler glauben schon jetzt, dass Qi Gong zu einer medizinischen Revolution führen kann.» Ebenso überschwenglich äußert sich der Physiker und Mathematiker Qian
Xuesen, Vorsitzender der Chinesischen Gesellschaft für Wissenschaft und Technik: «Die Qi-Forschung wird zu einer Revolution in der Wissenschaft führen, die das Antlitz der Menschheit verändert, zu einer Revolution, die tiefgreifender sein dürfte als die durch die Quantentheorie und Relativitätstheorie hervorgerufene Revolution in der Wissenschaft.»
Um zu erleben, was Qi Gong ausrichten kann, müssen deutsche Patienten nicht ins Reich der Mitte fahren: Seit März 1991 bietet es die erste
Klinik für Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) im Luftkurort Kötzting im Bayerischen Wald an - neben anderen fernöstlichen Heilverfahren wie Akupunktur, speziellen Massagen, Diäten und Kräuterkuren, kombiniert mit bewährten westlichen Therapieformen. Zu den zwölf Spezialisten aus China, die dort mit einem deutschen Ärzteteam zusammenarbeiten, zählt auch die Oberärztin Dr. Azhen Li, eine der renommiertesten Qi-Gong-Meisterinnen Chinas.
Für die Verbreitung von Qi Gong im
deutschsprachigen Raum hat niemand mehr geleistet als der chinesische Großmeister Zhi-Chang Li. 1943 in Peking geboren, begann seine Ausbildung in Qi Gong schon mit sechs Jahren; sein Lehrer war ein Großvater, der ihn auch in die chinesische Medizin und Pharmakologie einführte. Auf Reisen durch Nordchina, die Innere Mongolei und Tibet studierte er dann im Laufe von drei Jahrzehnten bei insgesamt elf Qi-Gong-Meistern. Über zwanzig Jahre lang war Li an Pekinger Krankenhäusern tätig,
hauptsächlich als Facharzt für Akupunktur und Qi Gong. Im Auftrag seines Meisters Hongbao Zhang kam er 1988 nach Deutschland, um hier traditionelle chinesische Heilkunst zu lehren. Zunächst in Reutlingen, dann in München eröffnete Li Institute, an denen er Qi Gong nicht nur praktiziert, sondern auch lehrt: Eine Ausbildung umfasst ein Dutzend Wochenendkurse, die in weniger als zwei Jahren zum Abschluss als Qi Gong-Meister führen.
Zu den begeisterten Absolventen gehört der Künstler
Thomas S., der in München ein «Zentrum fernöstlicher Heilmethoden» aufgebaut hat. Hier kombiniert er Qi Gong mit anderen traditionellen fernöstlichen Heilweisen wie Shiatsu (einer sanften Druckmassage von Meridianpunkten), Sotai (einer Technik zur Ausrichtung des Gelenksystems) und Yoga. Besondere Erfolge will er damit «bei Rückenproblemen, bei geistiger und seelischer Anspannung, bei Gelenkverschiebungen und Migräne» erzielen. Welchen Leiden kommt er weniger oder gar nicht bei? «Da möchte
ich mich nicht eingrenzen», erklärt er.
Quellenangaben und weitere Literaturhinweise in Geistiges Heilen - Das Große Buch. |