Durch "Besessenheit" erklären Spiritisten Krankheitsbilder als Wirkungen körperloser Wesenheiten: sei es von Gottheiten, Dämonen, Verstorbenen oder unpersönlichen
psychischen Elementen, bisweilen sogar von lebenden Menschen und selbst von Tieren. Diese Wesenheiten sollen von ihrem Opfer Besitz ergreifen, in ihm "wohnen", durch ihn sprechen und handeln, seine Persönlichkeit zeitweilig oder auf Dauer zurückdrängen können. (Näheres in Das Große Buch vom Geistigen Heilen, Abschnitt “Exorzismus – Vom Bösen besessen?”) Häufig geht Besessenheiten zunächst eine "Umlagerung" (lat. circumsessio) voraus, während derer die Betroffenen durch Spukvorgänge und fremde Stimmen,
scheinbar aus dem Nichts, geängstigt werden. Handfestere 'Belästigungen" (lat. infestatio) schließen sich manchmal an: Die Opfer fühlen sich körperlich attackiert, verletzt und geschwächt. Verschiedene Formen des Mediumismus, bei denen ein "herbeigerufener" Geist zeitweilig "inkorporiert" wird, sind mit Besessenheit verwandt. (Siehe Mediumismus.) Allerdings sind erfahrene Medien gewöhnlich imstande, Zeitpunkt, Dauer und Verlauf einer solchen "Besetzung" zu steuern, ohne bleibenden psychischen
Schaden zu nehmen. Was unterscheidet "echte" Besessenheit von psychischen Störungen, als welche sie die moderne Psychiatrie mit Begriffen wie "Hysterie", "Schizophrenie", "Paranoia" oder "Multiple Persönlichkeit" abtut? In ihrem Rituale Romanum von 1614 nannte die katholische Kirche vor allem drei Kennzeichen: "Ein wirklich Besessener
kann 1. mehrere Wörter in einer ihm fremden Sprache sprechen oder jemanden verstehen, der sie spricht; 2. Entferntes und Verborgenes offenbaren; und 3. Kräfte zeigen, die über sein Alter und seine körperliche Konstitution hinausgehen." Außerdem kommt es zu Spukvorfällen. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, können Kirchenobere einem Exorzismus zustimmen (von griech. ex-orkizein; Dämonen
abwehren). Damit stehen sie fest in der biblischen Tradition: Schon Jesus Christus half Kranken auf diese Weise, wie mehrere Stellen im Neuen Testament belegen (siehe z.B. Markus 1, 23-28 und 32-34). Der Taufritus und bestimmte Weihen weisen bis heute exorzistische Züge auf. Doch ist die christliche Form der "Austreibung" keineswegs der einzige Weg, mit einem spiritistischen Ansatz Kranken zu helfen, bei denen
die Schulmedizin versagt. Bei den wenigen Ärzten und Psychotherapeuten in Westeuropa, die mit exorzistischen Mitteln arbeiten, überwiegt eine verständnisvolle, beinahe schon mitleidige Einstellung gegenüber dem besessenmachenden Geist. Während katholische Priester, mit bischöflicher Erlaubnis, von vornherein böse Dämonen oder gar den Teufel persönlich am Werk sehen, die sie mit Flüchen und wüsten Beschimpfungen zu bannen versuchen, halten moderne Spiritisten die aufsässigen Geister eher für
aufklärungbedürftig - zumal wenn es sich um Seelen von Verstorbenen handelt. "Austreibung" wird dann zur geduldigen Überzeugungsarbeit: Die verirrte, "erdgebundene" Seele, die sich nach dem Tod ihres eigenen Körpers nicht von dieser Welt lösen konnte, soll über ihre wahre Bestimmung aufgeklärt und "heim ins Licht" geführt werden. Auch mit belastenden, ja krankmachenden
"Besetzungen" durch unpersönliche Energien rechnen moderne Spiritisten: etwa mit telepathischen "Verunreinigungen" durch fremde Psychen, mit energetischen Belastungen bestimmter Orte durch Vorbewohner, mit Mitbringseln aus eigenen früheren Leben. In okkultistischen Zirkeln werden böse Kräfte durch weiße Magie abzuwehren versucht. Diagnostisch zwischen Besessenheit und
gewöhnlicher Psychose zu unterscheiden, fällt Schulmedizinern wie Esoterikern gleichermaßen schwer: Was die einen als "Aberglauben" pauschal abtun, wittern die anderen hinter beinahe jeglichem abnormen Verhalten. Dabei räumt selbst ein erfahrener Exorzist wie der italienische Pater Ugo Saroglio - zwischen 1968 und 1978 überprüfte er täglich zwei bis drei Fälle angeblicher Besessenheit - ein, er habe höchstens "in einem bis zwei Prozent der Fälle echte Besessenheit"
entdeckt, alle anderen seien "ein psychologisches Problem" gewesen. Tatsächlich stellten zahlreiche psychologische Studien bei Besessenen abnorme Persönlichkeitszüge fest: darunter häufig eine übersteigerte Religiosität, ausgeprägte Schuldgefühle, eine starke Empfänglichkeit für Suggestionen, eine unerfüllte Sexualität, ein heftiges Identifikationsbedürfnis. Doch ist mit solchen Befunden "Besessenheit" bereits wegerklärt - oder bloß eine Fülle von psychischen
Prädispositionen aufgezeigt, die dafür anfällig machen können, von einem fremden Geist in Besitz genommen zu werden? Über den therapeutischen Wert von Exorzismen liegen kaum verläßliche Studien vor. Dreißig Jahre lang unterzog der amerikanische Arzt Carl Wickland (1861-1937) Geistesgestörte einer Behandlung, in deren Mittelpunkt die sogenannte “Übertragung" stand: Der fremde Geist, der die Störungen
verursachte, sollte dabei auf ein anwesendes Medium übergehen, um dann gebannt zu werden. Ähnlich, allerdings weniger beachtet arbeitete der New Yorker Arzt Dr. Titus Bull zwei Jahrzehnte lang, ehe er 1932 eine aufsehenerregende Praxisbilanz veröffentlichte. Die "Inkorporation" des körperlosen Eindringlings durch ein Medium lehren und praktizieren auch die brasilianischen Geistheiler Carmen und Jarbas Marinho; in gut organisierten "Medienschulen" in Deutschland und
der Schweiz haben die Marinhos in dieser Methode inzwischen bereits mehrere hundert Interessenten unterwiesen, darunter auch zahlreiche Ärzte. Stark beeinflußt von diesem Ansatz wurde die Zürcher Psychiaterin Dr.med. Anne Glantz, die ihn zur "Energie-Transformation" weiterentwickelte. Dagegen half ihr (inzwischen verstorbener) Fachkollege Dr.med. Hans Naegeli-Osjord "Besessenen" seit Jahrzehnten durch Exorzismen, die stärker an christliche Rituale angelehnt waren. (Siehe Die Jagd nach Psi, Kapitel “Teuflische Schikanen – Zürcher Psychiater als Zuflucht von ‚Besessenen‘”.) Beide können auf eindrucksvolle Fallbeispiele aus ihrer Praxis verweisen - doch eine allgemeine Erfolgsbilanz, gestützt auf kontrollierte Beobachtungen
größerer Stichproben, steht auch hier noch aus. Mehrere Dutzend Geistheiler im deutschsprachigen Raum, die "austreiben", berichten zwar immer wieder von dankbaren Patienten, die nahezu schlagartig Symptome losgeworden seien, derentwegen sie zuvor jahrelang in Arztpraxen und psychiatrischen Anstalten erfolglos behandelt worden waren. Demgegenüber stehen jedoch tragische Schicksale von psychisch Gestörten, deren Not noch vergrößert wurde, nachdem therapeutische Laien sie in ihrem
Besessenheitswahn voreilig bestärkten. Lesetips: T. Bull: Analysis of Unusual Experiences in Healing Relative to Diseased Minds and results of Materialism Foreshadawed, London 1932. F.D. Goodman: Anneliese Michel und ihre Dämonen, Stein a.R. 1980. H. Naegeli-Osjord: Besesenheit und Exorzismus, Remagen
1981. W. Schiebeler: Besessenheit und Exorzismus - Wahn oder Wirklichkeit? Ravensburg 1985. C. Wickland: Dreißig Jahre unter den Toten, Remagen 1952. |