Lohnt es sich überhaupt, sich mit Gerüchten über angeblich »gelungene« Vorausführungen näher zu befassen? Lassen sie sich nicht a priori als Humbug abtun: ihrer logischen oder physikalischen Unmöglichkeit wegen? Unter den zahlreichen Argumenten dafür, die Philosophen und Naturwissenschaftler seit eh und je geltend machen, lauten die gängigsten: 1. Käme »Präkognition« vor, so würde dies anscheinend voraussetzen, daß Ereignisse, die erst in Zukunft eintreten, von dort gleichsam schon »rückwärts« in die Vergangenheit hineinwirken, auf Psyche (oder Gehirn) des Hellsichtigen, und dadurch die präkognitive Aussage hervorbringen. Dies widerspricht dem Wesen der Zeit: Denn sie verläuft, unumkehrbar, linear aus der Vergangenheit zur Gegenwart in Richtung der Zukunft. 2. Ebenso unvereinbar scheint Präkognition mit dem Wesen der Kausalität. Diese schließt ein, daß Ursachen ihren Wirkungen zeitlich vorangehen - während eine Zukunftsschau ihrem Auslöser, dem künftigen Ereignis, nachfolgen würde. 3. Was künfttig erst sein wird, ist noch nicht
zu dem Zeitpunkt, in dem es »vorausgesehen« wird. Wie kann ein Nichts etwas bewirken? 4. Kausalbeziehungen schließen wesentlich einen instrumentellen Aspekt ein: Wirkungen lassen sich beeinflussen (beschleunigen, hinauszögern, abschwächen, verstärken, oder sonstwie modifizieren), indem ihre Ursachen verändert werden. Ursachen gleichen insofern »Hebeln«, die wir umlegen
können, um bestimmte Weichen zu stellen. Die Möglichkeit von »Präkognition« scheint vorauszusetzen, daß solche Manipulationen ausnahmsweise auch in Gegenrichtung zum Zeitpfeil denkbar sind - mit paradoxen Folgen: Dann »kann ich mich ja vielleicht auf etwas konzentrieren, meine ‚psychokinetischen Fähigkeiten‘ anstrengen und einen zufälligen Vorgang - wie meine eigene Entstehung - rückwirkend ungeschehen machen«, gibt der Freiburger Physiker und Parapsychologe Walter von Lucadou zu
bedenken. »Wenn ich dabei Erfolg hätte, müßte ich mich wie in einem Science-Fiction-Film plötzlich in Nichts auflösen. « 5. Alle bekannten Kausalbeziehungen erfordern Medien, die zwischen den beteiligten Ereignissen und Vorgängen physikalisch vermitteln: Ein Knall braucht Schallwellen, um mein Ohr zu erreichen; Farbe und Form eines Gegenstandes sähe ich nicht, wenn nicht Lichtwellen
bestimmter Frequenzen auf mein Auge träfen, die dieser Gegenstand aussendet oder reflektiert; den Stich in meinem Zeh registrieren die Schmerzzentren meines Gehirns erst über eine elektrochemische Impulsleitung entlang von Nervenzellen. Doch über welches Medium sollte Zukünftiges ins Hier und Jetzt hineinragen können? (Auf einen weiteren Einwand - Zukunftswissen wäre mit Freiheit und Eigenverantwortung unvereinbar - werde ich gleich noch näher eingehen.)
So gewichtig derartige Bedenken anmuten wir sollten, im Geist eines wissenschaftlichen Empirismus, unser Urteil über sie suspendieren, bis wir die Evidenzen geprüft haben, die ihnen zuwiderzulaufen scheinen. Wie uns die Geschichte des wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts lehrt, ist dogmatischer Apriorismus, der Vernunft entscheiden läßt, was Gegenstand von Erfahrung sein kann, immer schon
ein schlechter Lehrmeister gewesen. Auf der Hut sein sollten wir insbesondere vor Urteilen, für die eine »logische«, zeitlose »Notwendigkeit« beansprucht wird, weil sie angeblich das »Wesen« von diesem und jenem erfassen. Ein solches »Wesen« kennen wir nur von den Begriffen her, in denen wir über es denken und sprechen. Hinter Wesenseinsichten, die Präkognition auszuschließen scheinen, stecken analytische Urteile - abgeleitet aus definitorischen Eigenschaften unserer
gegenwärtigen Begriffe der Kausalität, der Zeit, des Wissens. Doch die altehrwürdige erkenntnistheoretische Unterscheidung zwischen »analytischen« und »synthetischen« Urteilen ist künstlich: Begriffe ändern sich, sobald sich hinreichend viele grundlegende Überzeugungen über die Welt ändern, die wir in diesen Begriffen abbilden. Hinweise darauf, daß Präkögnition möglich ist, könnten einen derart tiefgreifenden Überzeugungswandel anstoßen; sie werden uns »dazu veranlassen, unsere heutigen Vorstellungen von der Natur und Struktur der Zeit zu überprüfen«, erwartet der Parapsychologe Milan Ryzl - wie ja sogar die Revision des grundlegenden logischen Satzes vom ausgeschlossenen Dritten in Erwägung gezogen wurde, um den neuentdeckten Phänomenen der Quantenmechanik gerecht zu werden. »Und wenn dies geschieht«, sagt Ryzl voraus, »wird auch unser Verständnis der Kausalität überprüft und gewandelt werden.«
Ein dogmatischer Rationalismus behindert diesen Lernprozeß bloß. Wenn uns einzelne Fälle von mutmaßlichen »Präkognitionen« überzeugen, so würde uns dies eher umgekehrt den Verdacht nahelegen, daß mit den eingangs vorgetragenen Argumenten samt und sonders etwas nicht stimmen kann: - Entweder sind sie kurzschlüssig. (Womöglich brauchen wir,
beispielsweise, gar keine »Rückwärtsverursachung« anzunehmen, um zu erklären, wie Präkognition möglich ist).
- · Oder sie beruhen auf falschen Voraussetzungen. (Vielleicht bestehen Präkognitionen ja gar nicht in kognitiven Beziehungen zu Zukünftigem, sondern zu Gegenwärtigem - dann etwa, wenn sie sich als Sonderfälle von Hellsehen oder Telepathie erweisen. Vielleicht auch handelt
es sich um überhaupt keine kognitive, sondern eine pragmatische Beziehung: Künftiges wird psychokinetisch herbeigeführt.)
· Oder mit den Argumenten muß zwar nicht logisch, aber semantisch etwas faul sein: Sie werden in unangemessenen, überholungsbedürftigen Begriffen vorgetragen. »Kann die Zeit gegen ihren eigenen Strom schwimmen?«, so etwa wird gefragt.
Doch vielleicht ist das Modell des »Flusses« der Zeit unangemessen? Hält uns ein Bild gefangen? Fortsetzung: Präkognition: die besten empirischen Hinweise darauf |