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Präkognition: die besten empirischen Hinweise darauf

Was gälte als Evidenz für »Präkognition«? Daß eine Voraussage mit einem später eintretenden Ereignis übereinstimmt, reicht aus mehreren Gründen nicht hin.

  • Die Koinzidenz könnte rein zufällig zustande gekommen sein. (Wer hinreichend viele Prophezeiungen macht und dann lange genug abwartet, kann allein schon nach den statistischen Gesetzen der Wahrscheinlichkeit damit rechnen, daß sich irgendeine irgendwann erfüllen wird.)
  • Die Prophezeiung könnte »sich selbst erfüllen« - dann etwa, wenn sie Erwartungen, Befürchtungen und Wünschen entspringt, die den Betreffenden entsprechend handeln lassen.
  • Die Übereinstimmungen könnten so spärlich oder ungenau ausfallen, daß der Spielraum für Interpretationen zu groß wird.

Häufig sind Präkognitionen aber nachweislich frei von diesen Einschränkungen. Belege dafür stammen aus Untersuchungen spontaner Voraussagen, aus systematischen Beobachtungen über längere Zeiträume, aus Labor- und Feldexperimenten.

Daß paranormales Zukunftswissen auch im Verlauf von »Vorausführungen« zum Vorschein kommen kann, ist deshalb zumindest nicht von vornherein auszuschließen.

Aber ist es auch wahrscheinlich - ja sicher, wie etliche »Vorausführer« ihrer Kundschaft weismachen wollen? Können wir vernünftigerweise damit rechnen, gegen Entgelt an der Hand eines Therapeuten die Zeitschranke zu durchbrechen? Was spricht für eine solche Erwartung?

1. Jahrtausendelang galt Prophetie als göttliche Gnade weniger »Auserwählter«. Wie jüngste Untersuchungen dagegen übereinstimmend bestätigen, scheinen außersinnliche Fähigkeiten, darunter auch paranormales Zukunfts wissen, in allen Bevölkerungsgruppen verbreitet. Louisa Rhine (1954) sowie die deutschen Parapsychologen Sannwald (1959/ 60) und Hanefeld (1970) sammelten und analysierten zusammengerechnet fast 6000 entsprechende Berichte. Aufmerksame Psychotherapeuten wie der Schweizer Medard Boss begegnen präkognitiven Erlebnissen, vor allem im Traum, bei ihren Patienten laufend. Grundsätzlich scheint niemand zu blind dafür, sich von »Vorausführern« ein Fenster zum Morgen aufstoßen zu lassen.

2. Herabgesetzte Bewußtseinstätigkeit - insbesondere Hypnose, tiefe Entspannung und Meditation, wie sie in Reinkarnationstherapien induziert werden - scheint der ASW überaus förderlich. Zwar schneiden Hypnotisierte in kognitiven Leistungstests alles in allem nicht besser ab als wach Befragte - oder mit einer höheren Zahl von Treffern steigt zugleich die Fehlerquote. Zumindest wirken sich Trance und andere veränderte Bewußtseinszustände aber auf indirektem Wege günstig aus: Sie machen ruhig und gelassen; ziehen die Aufmerksamkeit ab von Ablenkungen durch die Außenwelt und dem unablässigen Strom der Gedanken; lenken den Blick ganz nach innen; schalten dabei die selbstkritische Instanz des Bewußtseins weitgehend aus; heben Stimmung und Zuversicht stärken das Selbstvertrauen; machen Mut, auch auf flüchtige Eingebungen zu achten und sie zu äußern - allesamt Bedingungen, die erwiesenermaßen kognitive Leistungen aller Art anregen, einschließlich paranormaler.

3. Nichts ist Psi hinderlicher als eine negative Einstellung ihm gegenüber. Eben diese wird, sofern vorhanden, im Rahmen einer Reinkarnationstherapie abgebaut. Daß sie Präkognitionen auslöst, wird dadurch wahrscheinlicher.

Parapsychologen sprechen hierbei von einem »Sheep/Goat-Effekt«: Versuchspersonen, die bezüglich des Ausgangs von Psi-Tests negativ voreingenommen sind (goats, die widerspenstigen »Ziegen«), erzielen durchweg schlechtere Ergebnisse als positiv Eingestellte (sheeps, die gutwilligen »Schafe«). Häufig blockiert sie eine unbewußte Angst vor dem Unheimlichen. Sie sind schlicht zu »zugemauert«, um gute Sensitive zu sein - zumal inmitten einer Kultur, die tabuisiert, was sie erleben könnten.

Wie weitgehend diese Abwehrhaltung gegenüber Übersinnlichem paranormale Leistungen beeinträchtigen kann, bestätigte der isländische Parapsychologe Erlendur Haraldsson in Präkognitionstests an der Universität von Reykjavik. 158 Freiwillige setzte er vor einen Computerbildschirm, auf dem vier leere Fenster zu sehen waren. Von einem Zufallsgenerator ausgewählt, erschien kurz darauf in irgendeinem dieser Fenster ein farbiges Bild; die Versuchspersonen sollten jeweils voraussagen, in welchem. Manche schnitten dabei auffallend schlechter ab, als nach den Gesetzen des Zufalls zu erwarten gewesen wäre. (Parapsychologen sprechen hier von Psi-missing, psi-bedingten Fehlern: Eine paranormale Begabung fehlt nicht etwa - es wird auf paranormale Weise verhindert, daß sie sich manifestiert.) Andere erzielten ebenso konstant höhere Trefferquoten; bei den Besten lag die Wahrscheinlichkeit, durch bloßes Raten richtig zu liegen, bei 2 zu einer Million. Beide Gruppen testete Haraldsson daraufhin auf »Abwehrmechanismen«. Wie sind sie zu Ubersinnlichem eingestellt? Halten sie es überhaupt für möglich? Würde es ihnen Furcht einflößen, wenn es einträte? Trauen sie sich selbst übersinnliche Fähigkeiten zu? Würden sie dies eher als Geschenk oder als Last betrachten?  Wären sie stolz darauf? Würde ihre Umwelt sie dafür bewundern - oder verteufeln, wozu sie imstande sind? Meinen sie, daß solche Fähigkeiten ihnen und anderen eher nutzen oder schaden könnten?

Als Haraldsson die Antworten auswertete, stieß er auf einen deutlichen Zusammenhang: Je stärker die »Abwehr«, desto niedrig er die Trefferrate. Mit diesem Effekt muß rechnen, wer »Vorausführungen« fair beurteilen will. Die meisten »Reinkarnationstherapeuten« verstehen sich meisterhaft darauf, störrische »Ziegen« in »Schafe« zu verwandeln. Ohnehin werden sich von vornherein fast nur »Schafe« auf Rück- und Vorausführungen einlassen; entsprechend wächst die Wahrscheinlichkeit, daß unter ihnen im Verlauf von »Progressionen« tatsächlich paranormale Informationen zum Vorschein kommen.

 

Wenn ich trotzdem Bedenken habe, so aus acht Gründen:

1. Ihre präkognitive Begabung wirklich entwickelt haben nur wenige weit genug, als daß sie Trefferquoten deutlich über der Zufallswahrscheinlichkeit erwarten könnten. Buchtitel wie »Jeder hat das dritte Auge« wecken da völlig überzogene Erwartungen. Zwar glauben rund dreißig Prozent der Bundesdeutschen, »daß es Möglichkeiten gibt, die Zukunft vorauszusagen«;     doch wie viele von ihnen haben Derartiges tatsächlich schon zustandegebracht? Vermutlich mehr, als Psi-Skeptiker wahrhaben wollen - aber erheblich weniger, als »Vorausführern« recht sein kann.

Wie verbreitet präkognitive Erlebnisse in der Bevölkerung tatsächlich sind, läßt sich anhand der wenigen vorliegenden Untersuchungen an hinreichend großen Stichproben allerdings schwer abschätzen; dazu weichen die ermittelten Werte zu sehr voneinander ab; zudem war ihre Fragestellung zu unspezifisch. So verteilte der niederländische Parapsychologe Jan Kappers Anfang der sechziger Jahre 8000 Fragebögen über spontane Psi-Erlebnisse an Einwohner von Amsterdam; erfassen wollte er dabei neben Präkögnition auch alle anderen Formen außersinnlicher Wahrnehmung sowie Psychokinese. Von 1329, die er ausgefüllt zurückbekam, enthielten 408 Angaben über derartige Erfahrungen. Nach sorgfältiger Auswertung schätzt Kappers, daß ein bis zwei Prozent der Bevölkerung wenigstens einmal in ihrem Leben Paranormales erleben. Einen ähnlichen Fragebogen schickte Paltner per Post 1000 zufällig ausgewählten Einwohnern einer Gemeinde zu. Unter den 622 Rücksendern berichteten immerhin 40 Prozent über ein ASW-Erlebnis im Traum oder im Wachzustand. Wie hoch der Anteil von Selbsttäuschungen, Mißverständnissen oder Wichtigtuerei war, bleibt dabei kaum feststellbar.

    Mit Vorsicht zu genießen sind auch Statistiken über bemerkenswert hohe Trefferquoten bei Psi-Tests mit repräsentativen Stichproben. Wie der Parapsychologe Brian Millar vermutet, werden die meisten »signifikanten« Psi-Ergebnisse von einer kleinen Elite produziert, die entweder als besonders begabte Versuchspersonen oder Versuchsleiter für die Resultate verantwortlich sind - und die Gesamtbilanz verfälschen.

2. Auch wenn sich Psi-Begabungen nicht in Leistungen manifestieren, mögen sie latent vorhanden sein und sich schulen lassen. Doch entsprechende ASW-Trainingsprogramme sucht man in den vollmundigen Angeboten von Reinkarnationstherapeuten vergeblich. Welchen Aufwand sie dafür treiben müßten, läßt die parapychologisehe Fachliteratur ahnen.

3. Selbst bei den wenigen ausgeprägten Psi-Könnern kommen Präkognitionen selten vor, schwanken in ihrer Qualität erheblich. (In über 200 Sitzungen mit 15 der bekanntesten Hellsehern der Niederlande fand Sybo Schouten von der Reijks-Universität Utrecht gerade einen Anteil von einem Prozent vermutlich psi-bedingter Treffer; darin eingerechnet sind sämtliche Äußerungsformen außersinnlicher Wghrnehmung, nicht nur Zukunftsschauen.) Wenn überhaupt, tritt Vorauswissen meist spontan auf - und gerade nicht so termingerecht, wie es verabredete Sitzungen zu »Progressionen« erfordern würden.

4. Präkognitionen beziehen sich fast immer auf zeitlich unmittelbar bevorstehende Ereignisse.  Den erwähnten Traumprotokollen von Nancy Sondow zufolge trat von 123 vorausgesehenen Ereignissen fast die Hälfte, 51, innerhalb der nächsten 24 Stunden ein; 17 am zweiten Tag, 12 am dritten. Mit wenigen Ausnahmen galt: Je weiter ein Ereignis in der Zukunft liegt, desto seltener kündigt es sich in Wahrträumen an. Auf denselben »Fall-off«-Effekt stießen auch andere Forscher.

5. Ganz selten betreffen die Präkognitionen wirklich wichtige, bedeutsame Lebensereignisse, auf die es Progressionswilligen doch gerade ankommt. Meist ist das Vorausgesehene alltäglich, geradezu banal: so, etwa die Schlagzeile der morgigen Ausgabe der Tageszeitung, eine Einladung ins Kino, ein Musikstück aus dem Radio, ein Gesprächsthema auf einer Party. Unter mehreren hundert Zukunftsträumen fand J. Priestley 1964 kaum einen, der mit den hauptsächlichen Interessen, Bedürfnissen, Sorgen und Anliegen der Betreffenden zu tun hatte; die meisten nahmen Banales vorweg. Wieso? Wenn für uns persönlich viel auf dem Spiel steht, »ist unser Handlungsspielraum gewöhnlich groß genug, um zu wählen und aktiv zu gestalten, was aus uns wird«, erklärt Nancy Sondow. Dadurch ist diese Zukunft offener, weniger festgelegt - und entsprechend schwer vorwegzunehmen.

6. Kaum je wird ein künftiges Ereignis vollständig, in allen Einzelheiten, vorausgesehen; die Eindrücke bleiben meist fragmentarisch, bruchstückhaft.

7. Viele Präkögnitionen sind allegorisch verschlüsselt. Dieselben psychischen Mechanismen, die schon Freud in der Traumarbeit am Werk fand, scheinen auch hier mitzuspielen: Symbolisierungen, Verschiebungen, Verdichtungen. Dadurch entstehen »Ubersetzungsprobleme«: Was für ein Ereignis kündigt sich an? Oft erschließt sich der eigentliche Sinn erst im nachhinein, im Licht des bereits eingetretenen Ereignisses. Bis dahin bleibt kein Interpretationsversuch frei von Willkür.

8.  Phänomenologisch, von ihrer subjektiven Erscheinung her, unterscheiden sich Präkognitionen kaum je von lebhaften Erinnerungen und Vorstellungen, telepathischen oder hellsichtigen ASW-Eindrücken. Gewöhnlich sind sie weder lebendiger, eindrucksvoller, ergreifender; noch bleiben sie länger im Gedächtnis haften -, noch wiederholen sie sich häufiger; noch begleiten sie typische »Vorgefühle« oder ein »Evidenzbewußtsein«; noch müssen sie stärkere Mitteilungsbedürfnisse und Handlungsimpulse wecken als eine Angst- oder Wunschvorstellung. So ist es schlichter Humbug, wenn Deutschlands meistgelesenes Boulevardblatt einen englischen Psychologen mit der kühnen Behauptung zitiert: Einen Wahrtraum erkenne man daran, »daß man sich nach dem Aufwachen an alles genau erinnert und sich zum Handeln gezwungen fühlt«. Selbst wenn es unverwechselbare »Psi-Gefühle« gäbe – auch diese könnten bisweilen trügen. Ob ein Eindruck »präkognitiv« war, zeigt sich, wenn überhaupt, erst nach Eintritt des Ereignisses, auf das er bezogen war. Das macht es schier unmöglich, den Ergebnissen einer »Vorausführung« im voraus zu trauen.

Kurzum: Soweit angebliche »Vorausführungen« überhaupt ein hellseherisches Potential freisetzen, bleiben die Visionen fast immer bruchstückhaft, bezogen auf mehr oder minder belanglose Alltäglichkeiten der kommenden Woche - und mit Vorstellungen, Phantasien, Erinnerungen, Angsten und Wünschen unentwirrbar verwoben. Gerade jene schicksalsschweren Ereignisse, um die es Progressionswilligen geht, liegen nahezu ausnahmslos außerhalb ihrer Reichweite. Ein Reinkarnationstherapeut, der mehr verspricht, lügt - oder er kennt den Forschungsstand zu wenig, um zu wissen, wovon er spricht.

Wen es trotzdem reizt, eine »Progression« mitzumachen, sollte unbedingt darauf bestehen, daß sein Therapeut ihm wenigstens einige Vorausschauen entlockt, an denen er in allernächster Zeit ohne größere Umstände verifizieren kann, was an präkognitiven Fähigkeiten in ihm steckt. Falls er wirklich seiner eigenen Beerdigung am 13. März 2011 beiwohnen kann, sollte er eigentlich mühelos naheliegendere Ereignisse wie dasjenige »sehen« können, mit weicher Schlagzeile seine Hauszeitung am kommenden Samstag aufmacht.

In den drei Jahren, in denen sich der junge P. dem Heilpraktiker Werner Meinhold anvertraute, geschah nichts dergleichen. So ist P. s Herz zwar bis heute »voll von dem, was ich auf meiner Reise gesehen«: so etwa von »unheimlich vielen Panzern«, die 1993 »in unheimlich schnellem Tempo« über die Norddeutsche Tiefebene rollen; und vom Weltuntergang im Jahre 3750 nach Christus. (»Die Erde bricht auseinander. Es ist wie eine riesige Explosion ... Die Atmosphäre löst sich auf ... Der Staub des Todes bedeckt die ganze Erde ... Vorher ist alles gestorben ... Das sieht mehr aus wie der Mond... «) Doch ob P.s Kopf dem Herzen folgt?

 

Fortsetzung:
“Vorausschau” auf den weiteren Verlauf
 des jetzigen Lebens?

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