So werden Sie "Anerkannter Heiler"
(frei nach der mehrfach überarbeiteten "Prüfungsordnung" eines Heilerverbands)
1. Treten Sie dem Verein XY bei, überweisen Sie pünktlich den Mitgliedsbeitrag von 72 Euro und lassen Sie ein Jahr verstreichen.
2. Vermeiden Sie es, jemanden zu berauben, zu verletzen, zu betrügen, zu entführen, zu ermorden oder sonstwie straffällig zu werden, damit Sie dem Verein ein polizeiliches Führungszeugnis ohne dunkle Flecke einreichen können. (Gebühr beim Einwohnermelde- bzw. Bürgeramt: momentan 13 Euro.) Schlechte Karten hätten Sie allerdings, falls es sich bei Ihnen um den wiederauferstandenen Jesus handeln sollte: Der übte penetrant Heilkunde im Umherziehen aus, ohne festen Wohnsitz, womit er Straftatbestände erfüllte.
3. Kaufen Sie eine von vielen Gebrauchsanweisungen für angehende Heiler ("Der Heiler in Dir", "In 48 Stunden zum Reiki-Meister", "Auch du kannst heilen" o.a.), üben Sie die typischen Handbewegungen ein wenig, prägen Sie sich den Chakren-Auren-Geistführer-Multidimensionen-Kosmische-Energie-Jargon der Esoszene ein.
4. Lernen Sie den "Verhaltenskodex" des Heilervereins Paragraph für Paragraph auswendig. Aufwand für Nicht-Demenz-Betroffene: 5 bis 10 Minuten.
5. Bitten Sie Ihren Lebensgefährten, Ihre Mama und Ihren besten Kumpel, Ihnen je eine "Bestätigung einer erfolgreichen Behandlung" auszustellen. (Von Vorteil wäre es, wenn sich deren Nachnamen von Ihrem unterscheiden.) Solche "Bestätigungen" sollen gemäß Vereinsvorgabe folgenden Wortlaut haben: "Hiermit bestätige ich: Am ... bzw. in der Zeit vom ... bis ... nahm ich die Tätigkeit von Herrn/Frau ... in Anspruch. Danach stellte ich fest, dass meine Erkrankung/Beschwerden ... sich gebessert hatten."
6. Lassen Sie sich von drei Heilerkumpeln schriftlich als “Heiler” empfehlen.
7. Melden Sie sich bei der "Prüfungskommission" des Vereins an.
8. Entrichten Sie die verlangte Prüfungsgebühr von 75 Euro.
9. Belegen Sie Ihre Heilfähigkeiten, indem Sie einem Prüfungskommissar ein paar Minuten lang die Hände auflegen. Sollte er dabei nichts Außergewöhnliches spüren, verweisen Sie auf Studien, denen zufolge nur zwei von drei Behandelten beim Geistigen Heilen besondere Empfindungen haben.
10. Achten Sie darauf, dass Sie während dieser Heildemonstration den Eindruck vermitteln, sich in einem außergewöhnlichen Bewusstseinszustand zu befinden (geschlossene Augen; tiefe, gleichmäßige Atmung; entspannte Körperhaltung; Nichtreaktion auf äußere Ablenkung usw.)
11. Machen Sie auf die Prüfungskommissare einen höflichen, zurückhaltenden, bescheidenen Eindruck. Wirken Sie demütig und von einer Berufung beseelt, präsentieren Sie sich als Gutmensch. Streuen Sie ins Prüfungsgespräch Floskeln ein, die auf eine hochentwickelte Spiritualität hindeuten. ("Nicht ich heile, sondern ‚es' heilt durch mich", "Ich betrachte mich als Werkzeug einer höheren Intelligenz", "Der wahre Heiler ist Gott allein", Ich verstehe mich als Kanal für kosmische Energie" u.a.)
12. Hinterfragen Sie keinesfalls die Qualifikation der Prüfer.
13. Zahlen Sie auch weiterhin Ihre Mitgliedsbeiträge - sonst werden Sie vom Verein ausgeschlossen, womit Sie Ihren Titel nicht länger führen dürfen.
Immer noch zu schwierig für Sie? Dann warten Sie einfach den 1. Januar 2009 ab - dann nämlich setzt der betreffende Verband neue “Voraussetzungen zur Anerkennung als Heiler/in” in Kraft. Von da an brauchen Sie nicht einmal mehr den Punkten 5 und 6 Genüge zu tun. “Prüfungen” sollen dann zwar weiterhin stattfinden, allerdings nur noch bei den vom Verband “anerkannten Ausbildern/Mitgliedsvereinen”; suchen Sie sich irgendeinen aus, von dem Sie herausgefunden haben, dass er die große zur noch größeren Farce macht.
Die Kosten/Nutzen-Kalkulation des "Anerkannten Heilers"
Im Laufe von z.B. drei Jahren hat der Verein an ihm rund 300 Euro verdient (3mal den Jahresbeitrag von 72 Euro, plus 75 Euro Prüfungsgebühren, plus 10 Euro für die Urkunde). Macht aber nichts: Falls der werbeträchtige Titel "Anerkannter Heiler" sowie die Patientenvermittlungsstelle des Vereins dem Zertifizierten bloß einen einzigen zusätzlichen Klienten pro Jahr zuführt, der nicht mehr als 3 Sitzungen bucht - für je 50 Euro -, so hat der Heiler bereits eine Rendite um die 80 Prozent erzielt. Da halten nur wenige Aktienfonds mit.
Mehr zum Thema im jüngsten Buch von Harald Wiesendanger:
HEILEN “HEILER”? Ein Wegweiser für Hilfesuchende
(Lea Verlag: Schönbrunn, 3. erw. Aufl. 2009)
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