| Eine Erkältung kuriert man besser aus. Aber was tun, wenn man Husten, Schnupfen, Heiserkeit partout nicht gebrauchen kann: vor wichtigen, unaufschiebbaren Terminen beispielsweise? Dreimal geriet ich in letzter Zeit in diese
Verlegenheit. In jedem Fall hatte ich schon morgens nach dem Aufstehen bemerkt, daß etwas nicht stimmte: Ich fühlte mich schlapp, die Nase lief, und auf der Stirn lag ein leichter Druck. Bis zum Abend war die Erkältung dann voll zum Ausbruch gekommen: mit Fieber, Halsweh, einem ständigen Hustenreiz, heftigen Kopf- und Gliederschmerzen. Eigentlich gehörte ich jetzt ins Bett. Andererseits stand mir anderntags jeweils eine mehrstündige Autofahrt zu einer ganztägigen Besprechung bevor, die
ich unmöglich platzen lassen konnte. Dafür mußte ich fit sein. Was also tun? In so einer Klemme hatte ich früher stets Pillen geschluckt, die zumindest das Fieber ein wenig senkten und die meisten Symptome erträglicher machten, auch wenn sie nicht wirklich halfen. Doch diesmal wollte ich einen befreundeten Geistheiler beim Wort nehmen: “Wenn Sie mich mal brauchen - Anruf genügt.” Kurz entschlossen rief ich ihn an, alle drei Male spätabends. Und stets begann er umgehend damit,
mich “fernzubehandeln” - aus mehreren hundert Kilometern Distanz. Ein, zwei Stunden später ging ich schlafen, nicht minder erschlagen wie zuvor. Von der “Geistheilung” hatte ich bis dahin nicht das geringste gespürt: keinerlei Kribbeln und Prickeln, von denen Fernbehandelte so oft verblüfft berichten, keinerlei Gefühl des “Durchströmtwerdens” oder sonstige sonderbare Empfindungen. Es ging mir weiterhin elend. Und die Nacht wurde erst recht zur
Qual, an Schlaf war kaum zu denken. Jedesmal wachte ich mehrfach mitten in der Nacht auf, mit Fieberschüben und Hustenanfällen, Schweißausbrüchen und Schmerzen, wie ich sie in dieser Heftigkeit sonst von Erkältungen nie gekannt hatte. Ich hatte höllischen Durst, und immer wieder trieb es mich zur Toilette. Es war so, als hätte mein Immunsystem beschlossen, seinen Kampf gegen den Infekt, für den es sich gewöhnlich sechs Tage Zeit nahm, in einer einzigen Nacht zu gewinnen - und sich dazu
sechsmal mehr anzustrengen als sonst. Am nächsten Morgen hätte ich eigentlich völlig übermüdet und wie gerädert sein müssen. Aber ich fühlte mich topfit und energiegeladen. Die Erkältungssymptome waren nahezu vollständig verschwunden, nur die Nase lief noch ein wenig. Den anstehenden Termin wahrzunehmen, war kein Problem mehr. Was war da geschehen - nicht nur einmal, sondern mehrfach? Hatte hier tatsächlich ein “Fernheiler” seinem Namen alle Ehre
gemacht?
Einen Skeptiker lassen solche Episoden kalt. “Schließlich war Ihnen ja bewußt, daß sich ein Heiler um Sie kümmerte”, so würde er mich aufzuklären versuchen. “Sie rechneten damit, daß er Ihnen helfen würde - zumindest hofften Sie darauf und waren motiviert, ihm zu glauben. Und dieser Glaube war es letztlich, der Sie gesund gemacht hat”: eine Placebo-Reaktion also, wie sie aus der Medizinforschung mit Scheinmedikamenten - zum Beispiel Zuckerpillen oder anderen pharmakologisch inaktiven Substanzen - bestens bekannt ist. Wer es in solchen Diskussionen für ausgeschlossen erklärt, gläubig einem Hokuspokus aufgesessen zu sein, hat schlechte Karten. Auch wenn ich darauf beharren würde, (a) daß mein Vertrauen auf Medikamente gegen grippale Infekte einst nicht minder ausgeprägt war, (b) daß ich von den Versprechungen des “Fernheilers” ursprünglich herzlich wenig hielt und mich eher nach dem Motto “Auch wenn es nichts bringt, kann es zumindest nicht schaden” darauf einließ: Stets können meinem “Unterbewußten” gegenläufige Neigungen unterstellt werden. Widerspruch ist zwecklos: Wer weiß schon, was er per definitionem nicht wissen kann? Im übrigen ist längst überzeugend belegt, daß “Placebos” allein gelegentlich durchaus hinreichen, vermeintliche Fernheilungserfolge zustandezubringen. Einen besonders eindrucksvollen Beleg hierfür brachte der deutsche Arzt Dr. Rehder schon Mitte der fünfziger Jahre bei. Rehder leitete eine Klinik für Magenkranke. Drei seiner Patienten, die schwerkrank und bettlägrig waren, ließ er zunächst von dem damals höchst prominenten Münchner Geistheiler Dr. Kurt Trampler “fernbehandeln” - allerdings ohne Wissen der Patienten. Das Ergebnis war enttäuschend: Keinem der drei ging es anschließend im geringsten besser. Daraufhin entschloß sich Rehder zu einem zweiten Experiment: Diesmal erklärte er den drei Kranken, ein berühmter, überragend befähigter “Wunderheiler” werde ihnen ab sofort machtvolle Heilströme zusenden. Zur Einstimmung gab er ihnen ein Buch von Trampler zu lesen, händigte ihnen Aluminiumfolien aus, die Heilkräfte angeblich verstärken, und erzählte ihnen von den Wunderheilungen in Lourdes. Doch in Wahrheit fand diesmal keinerlei Fernbehandlung statt. Trotzdem besserte sich der Zustand der drei Patienten vom selben Tag an dramatisch. Schließlich konnten sie sogar aus der Klinik entlassen werden. Rehders reichlich hämische Schlußfolgerungen daraus wären womöglich zurückhaltender ausgefallen, wenn er noch Gelegenheit gehabt hätte, einer Berufskollegin aus England zu begegnen: Dr. med. Jennifer Fendick. Im Jahre 1975 infizierte sich die Ärztin mit Meningokokken-Bakterien. In lebensbedrohlichem Zustand wurde sie eines frühen Morgens ins Krankenhaus eingeliefert. Die Diagnose lautete auf “Waterhouse-Friderichsen-Syndrom”: ein geradezu schlagartig einsetzendes Leiden, das fast immer nach wenigen Stunden zum Tod führt. Seinen Namen gab ihm der britische Arzt Rupert Waterhouse (1873-1958). Meist sind Kleinkinder betroffen, in seltenen Fällen aber auch Erwachsene. Im medizinischen Fachjargon gilt diese Erkrankung als perakut (von lat. acutus:
zugespitzt, sinngemäß: höchst gefährlich), mit foudroyantem Verlauf (von frz. foudroyer: durch den Blitz erschlagen, sinngemäß: blitzartig einsetzend). Solche Befunde sorgen auf Intensivstationen stets für hektische Betriebsamkeit. In rasender Geschwindigkeit werden dabei beide Nebennieren irreversibel zersetzt. Hohes Fieber setzt ein. Der Infizierte wird leichenblaß, erbricht sich, hat Durchfall und zeigt alle Anzeichen eines Kollapses. Am ganzen Körper platzt die Haut auf, und Blut
tritt aus. Gegen 8.30 Uhr begannen vier Heilgruppen einer Religionsgemeinschaft, von Angehörigen der im Sterben liegenden Ärztin alarmiert, zur gleichen Zeit, für Dr. Fendick zu beten, ohne deren Wissen. Jede Gruppe war kilometerweit von der Frau entfernt - doch beinahe augenblicklich begann sich ihr körperlicher Zustand zu bessern, auch wenn sie noch vier weitere Tage im Koma lag. Eine Röntgenaufnahme ihres Brustkorbs hatte in der linken Lunge eine ausgedehnte Pneumonie
(Lungenentzündung) gezeigt, mit einem Zusammenbruch des Mittellappens - 48 Stunden später war sie verschwunden. Ein Ophthalmologe hatte an Jennifers linkem Auge ein zentrales Skotom festgestellt und fotografisch belegt: einen Ausfall des Gesichtsfeldes, der von einer Blutung im Augapfel herrührte. Doch nachdem die Ärztin wieder zu Bewußtsein gekommen war, konnte sie vollkommen klar sehen, und an ihrem Auge war keinerlei Schädigung mehr feststellbar. Sie genas
vollständig. Unzählige Anekdoten aus Heilerpraxen deuten in dieselbe Richtung: “Fernheilungen” gelingen mitunter selbst dann, wenn die Behandelten schwerlich davon wissen können - Menschen im Koma, Säuglinge und Kleinkinder, am häufigsten Schwerkranke mit erheblicher Skepsis gegenüber jeglichem esoterischen Humbug, deren Angehörige und Freunde insgeheim einen Heiler einschalten. War hier samt und sonders purer Zufall am Werk? An genau diesem Punkt sollten wir
unentscheidbare Intuitionen zurückstellen - und systematisch zu forschen beginnen. | |