| Angenommen, mit einer fliegenden Untertasse aus einem Hinterstübchen unserer Galaxie käme ein phantastisches Arzneimittel namens "Aga" eingeflogen, das jedes Leiden lindern kann: von Allergien über Rheumatismus bis zu Krebs. Dieses Aga würden die Außerirdischen an einige tausend auserwählte Menschen verteilen, mit dem Auftrag, es an all
jene weiterzugeben, bei denen ärztliche Kunst versagt. Wie ein Lauffeuer würde sich die Kunde von diesem neuen Medikament verbreiten. Bald würden Berichte von unfaßbaren Wunderheilungen für Schlagzeilen sorgen. Sie ließen Abermillionen von verzweifelten Kranken aufhorchen, die bislang ausschließlich der Schulmedizin vertraut haben, und ernsthaft erwägen, ob nicht auch sie Aga ausprobieren sollten. Umfragen unter Aga-Benutzern ergäben zwar, daß Aga nicht immer und
nicht jedem Kranken rasch und hundertprozentig hilft; immerhin würden sie aber zeigen, daß Aga tatsächlich der großen Mehrheit gut tut und anscheinend frei ist von schädlichen Nebenwirkungen. Doch auch Mißbräuche von Aga würden bekannt. Denn etliche Auserwählte vergäßen ihren Heilauftrag und begännen, Aga zu Wucherpreisen zu verkaufen. Sie würden Gutgläubigen Krankheiten einreden, bloß um sie als Käufer zu gewinnen und bei der Stange zu halten; mit Wundergarantien
und Drohungen hielten sie Kranke davon ab, zum Arzt zu gehen. Auf dem Esoterik-Markt entstünde ein regelrechter Aga-Kult: Bücher von spiritistischen Medien, die in Trance Kontakt zu den Außerirdischen aufgenommen haben wollen, würden Spitzenplätze in den Bestsellerlisten belegen. Zu horrenden Preisen würden Geräte verkauft, mit denen sich die in Aga steckende Heilenergie angeblich unmittelbar aus dem Kosmos einfangen und in Krankheitsherde hineinleiten läßt.
Reißenden Absatz fänden bestimmte Edelsteine, Farbstrahler und Duftwässerchen, deren regelmäßiger Gebrauch die therapeutische Wirkung von Aga vervielfachen können soll. Gerissene Profiteure, die von der Aga-Verteilung ausgeschlossen worden waren, böten "Mega-Aga forte" an: mit der Lüge, dies sei ein noch wirksameres Heilmittel, das die Außerirdischen bei einem unauffälligen weiteren Besuch auf der Erde hinterlassen hätten. Wie Pilze schössen "Aga-Yoga"-Schulen aus dem
Boden, die spezielle Atem- und Bewegungsmeditationen lehren, mit denen die Aga-Wirkung angeblich potenziert werden kann. Ebenso boomen würden "Agarobic"- und "Aganetik"-Studios. "Aga-Meister", die vom Leiter der außerirdischen Gesandtschaft höchstpersönlich in der geheimen Kunst der Aga-Anwendung unterwiesen und zu ihrer Verbreitung autorisiert worden sein wollen, böten teure "Intensiv-Seminare" an; gelehrigen Schülern würden sie diplomierte Abschlüsse
"ersten", "zweiten" und "dritten Grades" in Aussicht stellen. Von solchen Auswüchsen würden sich Skeptiker bestätigt fühlen, die in Aga von vornherein ein betrügerisches Geschäft mit arglosen Notleidenden witterten. Ärztliche Standes-vertretungen, Heilpraktikerverbände und die pharmazeutische Industrie, in wachsender Sorge um den Verlust ihrer Kundschaft, würden Staatsanwälte mobilisieren, um mit Aga-Verteilern kurzen Prozeß zu machen:
wegen Verstoßes gegen das Arzneimittel- und Heilpraktikergesetz, denn Aga wäre kein zugelassenes Medikament, und die Aga-Verteiler selbst würden größten-teils keinem anerkannten Heilberuf angehören. Medizinforscher, die Aga chemisch analysieren, könnten keine bekannten pharmakologischen Inhaltsstoffe feststellen; daraus schlössen sie, bei Aga handle es sich offenkundig um ein reines Placebo, das bloß deswegen wirke, weil irre-geführte Konsumenten naiv an seine Wirkung glauben. Da Aga
außerirdischen Ursprungs sei, so gäben die Auserwählten zu bedenken, könnten seine Wirkstoffe mit irdischer Meßtechnik gar nicht nachweisbar sein. Doch dies würde von wissenschaftlichen Sachverständigen als unverifizierbare Schutzbehauptung abgetan. Zwischen diesen Fronten stünde eine verunsicherte Öffentlichkeit, insbesondere Kranke und ihre Angehörigen. Sollten sie sich auf Aga einlassen, aller Kritik zum Trotz? Oder lassen sie vorsichtshalber die Finger davon,
um keinem Scharlatan aufzusitzen - versäumen dadurch aber womöglich ihre letzte Chance?
Genauso verunsichert sind Patienten, was geistiges Heilen anbelangt - und darin besteht nicht die einzige Parallele zur "Aga"-Utopie, wie dieses Buch verdeutlichen soll. Ebenso wie bei Aga, so scheint auch bei geistigem Heilen das therapeutische Agens nicht bloß ein physikalisch faßbares Etwas, sondern die Art seiner Anwendung - eine Heilweise, über deren Erfolg solche Faktoren wie
Zuwendung und Geduld, Weisheit und Liebe, persönliches Wachstum und Transformation nicht minder entscheiden wie irgendwelche "Energien" und "Resonanzen", "Ströme" und "Felder" (Kapitel I). Wie bei Aga, so sind auch Ursprung und Wirkungsweise von geistigen Heilkräften bis heute wissenschaftlich ungeklärt; und hier wie dort gibt es Mißbräuche und Auswüchse, berechtigte Zweifel und begründete Warnungen. Aber sollte ein erfolgversprechendes Heilmittel bloß
deswegen aus dem Verkehr gezogen werden, weil wir es noch nicht recht verstehen? Für geistiges Heilen spricht immerhin: Die große Mehrheit der Behandelten ist zufrieden damit, selbst in vermeintlich "hoffnungslosen" Fällen, in denen Schulmediziner bereits Etikettierungen wie "therapieresistent" oder gar "austherapiert" verwenden (Kapitel II). Es wirkt auch unter wissenschaftlichen Testbedingungen, selbst in "Blindstudien", die Placebo-Effekte von
vornherein ausschließen (Kapitel III). Seine Anwendung ist risikolos, frei von schädlichen Nebenwirkungen, konkurrenzlos billig - und mit jeder anderen therapeutischen Maßnahme nutzbringend kombinierbar, wie Ärzte (Kapitel IV), Heilpraktiker (Kapitel V) und Psychotherapeuten (Kapitel VI) erleben, sobald sie sich unvoreingenommen darauf einlassen. Religiösen (Kapitel VII) und juristischen Argumenten (Kapitel VIII) dafür, seine Anwendung einzuschränken oder gar zu verhindern, mangelt es an
Überzeugungskraft. Und deshalb wird geistiges Heilen in der Medizin des nächsten Jahrtausends mit Sicherheit eine beachtliche Rolle spielen - vorausgesetzt, die Heilerbewegung selbst entwickelt die Fähigkeit und den Willen zur Selbstorganisation, die nötig sind, um sich gegen mächtige politische Gegenkräfte zu behaupten (Kapitel IX).
Kranke, die daraus nicht den Schluß ziehen, daß sie sich auf geistiges Heilen einlassen sollten, vertun deshalb leichtfertig eine Chance - ebenso
wie sie es täten, wenn sie Aga voreilig ausschlagen würden, ohne sein therapeutisches Potential unvoreingenommen zu prüfen. Daß ein Geschenk mißverstanden und mißbraucht werden kann, ändert nichts an seinem Wert - einerlei, ob es von Außerirdischen stammt, von Gott oder der Macht der menschlichen Psyche. |