| “Seit Anfang der neunziger Jahre beschäftigt sich der Allemühler Dr. Harald Wiesendanger mit Themen wie Reinkarnation oder Astrologie bis hin zu Außerirdischen. Der
studierte Philosoph, Psychologe und Soziologe beobachtet und erforscht, beschreibt und analysiert solche Phänomene seit Mitte der achtziger Jahre – „in aufgeschlossener Distanz“, wie er sagt. 30 Bücher hat der „Grenzgänger zwischen Wissenschaft und Aberglaube“ (Ärzte-Zeitung) ihnen bislang gewidmet, neben über 2000 Artikeln in Zeitungen, Zeitschriften und Internetportalen. Seit Anfang der 90er Jahre beschäftigt ihn vor allem das Phänomen Geistheilung – auch Geistiges Heilen, energetisches Heilen, spirituelles Heilen genannt. Dieser wohl ältesten, aber auch umstrittensten Heilweise widmete er 17 Sachbücher; stellte sie bei über hundert Rundfunk- und Fernsehauftritten (darunter auch im ARD) vor; organisierte, gemeinsam mit Schweizer Kollegen, sieben Weltkongresse für geistiges Heilen (1992-2006); gründete und leitete
eine Dachorganisation für Heilerverbände (1994-1998), die „Stiftung Auswege“ sowie die Internationale Vermittlungsstelle für herausragende Heiler (seit 2005). Mit alledem ist er inzwischen zum „Spiritus rector der deutschen Geistheiler-Szene“ (Süddeutsche Zeitung, 12.5.2007) geworden. Die RNZ hat sich mit Dr. Harald Wiesendanger über seine Arbeit und Geistiges Heilen unterhalten.
Herr Dr. Wiesendanger, kann man Ihre Funktion mit der eines „TÜV“ vergleichen? Therapeuten sind keine Autos, insofern hinkt der Vergleich gewaltig. In einer Hinsicht passt er aber: Es geht um Qualitätskontrolle und Zertifizierung - um Mängel festzustellen, die gefährlich werden können, und Gütesiegel zu vergeben, auf die Verlass ist. Dieses Ziel verfolgt meine IVH, die „Vermittlungsstelle für herausragende Heiler“: Mit einem aufwändigen
Auswahlverfahren versucht sie aus der Esoterikszene die wenigen Könner herauszufiltern, die Vertrauen verdienen.
Wie funktioniert dieser „Heiler-TÜV“ denn? Wir bewerten Heiler nach 13 Kriterien. Dazu zählen Berufserfahrung, überzeugend dokumentierte Behandlungserfolge, Rückmeldungen von Patienten, Empfehlungen durch Experten, insbesondere auch die Ergebnisse eines „Screenings“: Dazu schicken wir Mitarbeiter in Heilerpraxen, wo sie
teilweise verdeckt ermitteln, als angebliche Patienten mit vorgetäuschten Leiden.
Was genau bedeutet „Geistiges Heilen“? “Geistiges Heilen” bezeichnet eine ziemlich große Familie von merkwürdigen Außenseitertherapien aus allen Epochen und Kulturkreisen, die mit denkbar unterschiedlichen Vorgehensweisen, Theorien und kulturellen Hintergründen verbunden sind. Das Spektrum reicht vom Handauflegen, Gebetsheilen und
Exorzismus – also Heilweisen, die schon Jesus Christus praktizierte – über das Besprechen und schamanisches Heilen bis hin zu Importen aus Fernost, wie Reiki, Prana-Heilen oder Chakra-Therapie. Ihr kleinster gemeinsamer Nenner ist etwas Geistiges, nämlich eine Intention: die Absicht, einem Anderen zu helfen. Allein diese Intention scheint manchmal tatsächlich auszureichen, Krankheitsverläufe günstig zu beeinflussen, auch gegen ärztliche Prognosen.
Dabei werden keinerlei Hilfsmittel eingesetzt, die nach gegenwärtigem medizinischem Erkenntnisstand im beobachteten Ausmaß und Tempo wirksam sein könnten. Was heilt, scheint insofern “purer Geist”.
Es ist also grundsätzlich eine Art unsichtbare Behandlung? Im Kern ja. Aber natürlich agieren auch Geistheiler wahrnehmbar, wie alle Heilkundigen: Ihre Bewegungen, ihre Körperhaltung, ihre Stimme, die Einrichtung ihrer Praxis hinterlassen beim Patienten Eindrücke, die
Therapiewirkungen verstärken können.
Wieviele unterschiedliche Arten von Geistigem Heilen gibt es? Hunderte, wenn nicht tausende, und täglich kommen neue hinzu, zumindest dem Namen nach. Fast immer wird dabei alter Wein in neue Schläuche gegossen – Heiler, die eine angeblich neue Therapie erfunden haben, schmeicheln nicht nur ihrem Ego, sondern eröffnen sich ein neues Geschäftsfeld, wenn sie Ausbildungen darin anbieten.
In einer älteren Ausgabe der Ärzte-Zeitung wurden Sie als „Grenzgänger zwischen Wissenschaft und Aberglaube“ bezeichnet. Wie stehen Sie dazu? Das passt. Einerseits versuche ich auf rätselhafte Phänomene aufmerksam zu machen, die der akademische Wissenschaftsbetrieb übersieht, verkennt oder totschweigt - wie zum Beispiel Geistiges Heilen. Andererseits warne ich davor, sie voreilig als ‘gegeben’ hinzunehmen. Wer ihnen gerecht werden will,
muss unbefangen, aufgeschlossen, undogmatisch die Waage halten zwischen esoterischem Überschwang und szientistischem Verriss. Wir brauchen Wissenschaftler, die Anomalien aushalten können - ebenso dringend, wie Esoteriker wissenschaftliches Argumentieren lernen müssen. Von der modernen Medizin halten Sie nicht viel? Keineswegs. Die westliche Schulmedizin leistet Hervorragendes in der Diagnostik, bei akuten Notfällen, im chirurgischen Bereich, bei der
Bekämpfung von Infektionen, bei hormonellen Störungen und einer ganzen Reihe von psychischen Leiden, soweit sie organisch bedingt sind. Aber im Kampf gegen eine Vielzahl von chronischen Krankheiten stagniert sie seit längerem, allem Aufwand zum Trotz. Um ihnen beizukommen, ist womöglich ein anderer, erweiterter Ansatz erforderlich: einer, der auf die Selbstheilungskräfte von Menschen setzt, statt an diesen vorbei gesundheitliche
Probleme rein lokal und symptombezogen zu bekämpfen, mit Stahl, Strahl und chemischer Keule. Einem solchen Ansatz folgt ein Großteil der Geistheiler, ebenso wie Natur- und Erfahrungsheilkundige. In einem Herzleiden beispielsweise drücken sich nicht immer nur verengte Gefäße aus, sondern die Neigung der Betroffenen, sich zuviel „zu Herzen zu nehmen“; Kränkung kann krank machen. Medizin wird effektiver, indem sie aus den Erfolgen Geistigen
Heilens lernt und sich seinem therapeutischen Ansatz in Theorie und Praxis annähert. Was schätzen Sie, wieviele Menschen bundesweit jährlich Geistheiler aufsuchen? Aus Umfrageergebnissen schließe ich, dass die Zahl der „geistigen“ Heilbehandlungen pro Jahr in Deutschland im höheren zweistelligen Millionenbereich liegt. Bei durchschnittlich fünf Sitzungen pro Klient würde das bedeuten: Aljährlich vertrauen sich mehrere Millionen Bundesbürger einem Heiler an.
Wer darf sich „Heiler“ nennen? Leider jeder, der sich dazu berufen fühlt, denn die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt. Umso nötiger ist eine Einrichtung wie meine IVH, die Hilfesuchenden Orientierung bietet. Worauf sollte man bei der Suche nach der „anderen Art des Heilens“ achten? Für Hilfesuchende habe ich „Elf Goldene Regeln“ zusammengestellt. Dazu zählen: Machen Sie einen Bogen um Heiler, die Sie unter Druck setzen, Sie mit
Heilungsversprechen ködern, sich als Ersatzdoktoren aufspielen, Sie vom Gang zum Arzt abzuhalten versuchen, Ihnen von verordneten Medikamenten abraten, Ihnen unüberprüfbare, angeblich ‚übersinnliche’ Diagnosen stellen, mit irreführenden Titeln wie „Anerkannter Heiler“, „Diplom-Heiler“, „Geprüfter Heiler“ und dergleichen werben, bei der Honorarfrage nicht mit offenen Karten spielen. Die IVH hat einen entsprechenden Ehrenkodex
entwickelt, den jeder Heiler anerkennen muss, ehe er von ihr empfohlen wird. Das heißt, es gibt viele „schwarze Schafe“ unter den Heilern? Weniger, als Kritiker mutmaßen. Die meisten arbeiten seriös. Das Hauptproblem der Geistheilerei ist keineswegs ein Mangel an moralischer Integrität, sondern an therapeutischer Effizienz. Die Wenigsten halten, was ihre Berufsbezeichnung in Aussicht stellt – allzu oft stehen die erzielten
Heilwirkungen in krassem Gegensatz zu den geweckten Erwartungen und Hoffnungen. Wirkliche Könner sind rar, es überwiegen aufrichtig bemühte Dilettanten.
Wo liegen die Grenzen des Geistigen Heilens? Vermutlich genau dort, wo auch die natürlichen Selbstheilungskräfte des Menschen an Grenzen stoßen – denn diese sind es wohl, die durch Geistiges Heilen angeregt werden. Ihr Potential wird von der Schulmedizin immer noch
gewaltig unterschätzt. Aber auch dieses Potential ist nicht unerschöpflich: Ein amputiertes Bein, ein gezogener Zahn, eine herausoperierte Niere ist auch bei einem Geistheiler noch niemandem nachgewachsen. Wann empfehlen Sie Geistiges Heilen? Bei nahezu jedem chronischen Leiden, das seit längerem auf ärztliche Maßnahmen zuwenig anspricht. Abraten würde ich bloß bei seelischen Problemen, die mit Ängsten verbunden sind. Denn bei manchen Patienten kann
sich die quälende Vorstellung entwickeln, der Heiler sende ihnen “negative” Energien, er verfolge sie damit und schade ihnen womöglich. Muss man daran glauben, damit es wirkt? Glaube ist hilfreich, wie auch bei ärztlichen oder psychotherapeutischen Maßnahmen. Aber auch Skeptiker profitieren, wie Patientenbefragungen und viele gut dokumentierte Einzelfälle belegen. Wie stehen die Allemühler Ihnen und der doch etwas außergewöhnlichen
Art des Behandelns gegenüber? Keine Ahnung. In meinen 22 Jahren in Allemühl hat mich noch niemand darauf angesprochen, sei es aus Unwissenheit oder aufgrund von Vorurteilen. Die Geistheilerei gilt weithin eben immer noch als unseriös und irgendwie unheimlich. Darunter leidet der Ruf von Wissenschaftlern und Autoren wie mir, die sich ernsthaft damit befassen. Was machen Sie, wenn Sie selber krank werden – haben Sie einen Hausarzt?
Selbstverständlich. Geistiges Heilen soll die herkömmliche Medizin ja nicht ersetzen, sondern sinnvoll ergänzen. Wenn Sie am Gesundheitssystem etwas ändern könnten, dann ... … würde ich die wenigen fähigen Geistheiler, aber auch erfolgreiche andere „alternative“ Therapeuten in Praxen und Kliniken einbeziehen. Der Schlüssel dazu ist Pragmatismus: Wer heilt, hat recht. Gute Medizin ist eine, die
Behandelten nützt – einerlei, ob sie sich dabei auf placebokontrollierte Doppelblindstudien stützt, auf den Wissensschatz jahrhundertealter Heiltraditionen, oder auf die persönliche Erfahrung und Intuition von Anwendern. Kein Therapieansatz frei von Schwächen; jeder könnte mehr ausrichten, wenn er sich die Stärken anderer zunutze machen würde. Geistiges Heilen brächte mehr Geist und Seele ins Gesundheitswesen. Es würde die Humanmedizin nicht nur effektiver machen, sondern auch humaner.
Sie haben die Stiftung Auswege gegründet, worum geht es da genau? 30.000 Krankheiten kennt die Schulmedizin. Doch bloß ein Drittel davon kann sie vollständig heilen oder zumindest deutlich lindern, und dies oft nur mit erheblichen Nebenwirkungen, mit seelischen Belastungen, mit enormen Kosten. Zu den Leidtragenden zählen Millionen chronisch Kranker: Bestürzend viele gelten als "therapieresistent", wenn nicht gar als "unheilbar". Ihnen will meine
Stiftung Auswege eröffnen: in unkonventionellen Heilweisen, im breiten Spektrum der Natur- und Erfahrungsheilkunde, in ganzheitlichen Therapieformen.
Dazu tut sie was? Vor allem dreierlei: Meine Stiftung vermittelt Hilfe – aus einem Netzwerk von rund 200 Therapeuten aus 38 Ländern. Sie berät: In unserem telefonischen Infodienst ist an 67 Wochenstunden mindestens einer von 33 Ärzten, Heilpraktikern und Psychotherapeuten erreichbar, die ehrenamtlich daran
mitwirken. Und sie behandelt, mit Erfolgen, die meine optimistischen Erwartungen deutlich übertroffen haben: Bei unseren bisherigen acht Therapiecamps machten neun von zehn Patienten – 80 % der Kinder, 95 % der Erwachsenen – innerhalb von acht bis neun Tagen gesundheitliche Fortschritte wie zuvor seit Monaten und Jahren nicht.
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