| Was können
Patienten von den Basler “Weltkongressen für Geistiges Heilen” erwarten, die seit 1992 alle zwei bis drei Jahre stattfinden? Was hat diese Veranstaltung Wissenschaftlern, Ärzten und anderen therapeutisch Tätigen zu bieten? Inwieweit hält die Heilkunst der Dritten Welt Lektionen für westliche Schulmediziner bereit? Hat geistiges Heilen Zukunft? Unter welchen Voraussetzungen? Ist es mehr als ein Placebo - aber auch mehr als ein rätselhafter Energietransfer?
Zum
vierten Mal bieten die Basler “Psi-Tage” den Rahmen für einen “Weltkongreß für Geistiges Heilen”. Und auch diesmal versprechen Sie “unmittelbare Begegnungen mit über hundert herausragenden Heilern aus aller Welt”. Wecken Sie damit bei Patienten nicht Erwartungen, die nur enttäuscht werden können? Dr. Wiesendanger:
Wir versprechen nichts, schon gar keine “Wunder” auf Bestellung binnen vier Kongresstagen. Allerdings stellen wir Phänomene vor, die darauf hindeuten, daß mit Etikettierungen wie “behandlungsresistent”, “austherapiert” oder gar “unheilbar” gar nicht vorsichtig genug umgegangen werden kann. Also wedeln Sie doch mit Strohhalmen - für die Aussortierten des herkömmlichen Medizinbetriebs, die scharenweise nach Basel pilgern werden, um
danach zu greifen? Dr. Wiesendanger:
Nach sechzehn Jahren gelten die “Psi-Tage” immerhin als Europas bedeutendster Publikumskongreß für Grenzfragen der Wissenschaft. Diesen Ruf hätten sie sich gewiß nicht erworben, wenn sie alljährlich ein esoterisches Werbespektakel auf rosa Wölkchen böten. Mit geistigem Heilen gehen wir nicht anders um als mit Reinkarnation, dem Leben nach dem Tod und anderen umstrittenen Kongressthemen früherer Jahre: in aufgeschlossener Distanz. Wir präsentieren sie als außergewöhnliche, noch weitgehend unverstandene und insoweit “paranormale” Erscheinungen, denen sich die scientific community ernsthaft zuwenden sollte, statt sie stillschweigend oder hohnlächelnd zu übergehen. Patienten wollen wir einen Überblick über die verwirrend vielfältigen “geistigen” Therapieangebote verschaffen, auf ihre drängendsten Fragen eingehen, ihnen handfeste Tips, aber auch Warnungen mitgeben. Möglichkeiten und Grenzen, Chancen und Risiken wollen wir dabei sorgfältig gegeneinander abwägen. Viele verbreiteten Ängste und Vorurteile sind unbegründet, ebenso allerdings auch überzogene Hoffnungen.
Beitrag zum Verbraucherschutz
Der halbjährige “Fernheil-Test” mit 120 chronisch Kranken und 50 Heilern, den Sie anläßlich des “Weltkongresses” durchführen (siehe Heilen ohne Grenzen - “Fernbehandeln” auf dem Prüfstand
), sorgt in den Medien seit Monaten für viel Wirbel. In Basel sollen erste Ergebnisse vorgestellt werden. Was erwarten Sie? Dr. Wiesendanger:
Nichts, wir sind auf jeden Ausgang gefaßt. Sollte sich herausstellen, daß Fernheilen im großen und ganzen nützt, und das selbst bei chronischen Langzeitpatienten wie unseren Versuchspersonen, so wäre noch immer nichts “bewiesen”; wohl aber wäre es angezeigt, baldige, noch besser kontrollierte Folgestudien an grösseren Stichproben in Angriff zu nehmen. Falls die Ergebnisse enttäuschend ausfallen, so hätten wir immerhin einen Beitrag zum Verbraucherschutz geleistet. Zu folgern wäre dann: “Leute, lasst die Finger davon, es bringt nicht annähernd so viel, wie euch weisgemacht wird.” Auch Pleiten sind lehrreich. Alle
Ihre Versuchspersonen wissen, daß sie fernbehandelt werden. Wie wollen Sie da Erwartungseffekte und echte Heilwirkungen überhaupt auseinanderhalten? Hätten Sie Ihre Studie nicht besser “doppelblind” angelegt? Dr. Wiesendanger:
Das hätte erfordert, Kontrollgruppen von Patienten zu bilden, die fernbehandelt werden, ohne es zu wissen, oder fälschlich im Glauben gelassen werden, sie würden fernbehandelt. Ob sie auch unter solchen Bedingungen unerwartet rasche und weitreichende Fortschritte machen, wäre aus rein wissenschaftlicher Sicht gewiss eine spannende Frage. Ihr nachzugehen, setzt aber ein ethisch fragwürdiges Vorgehen voraus. Inwiefern? Dr. Wiesendanger:
Jemanden ohne sein Wissen einer therapeutischen Maßnahme auszusetzen – und sei es auch “nur” auf einer rein “spirituellen” Ebene -, greift in sein Selbstbestimmungsrecht ein. Und jemandem monatelang eine möglicherweise hilfreiche Therapie vorzuenthalten, obwohl man ihm weismacht, sie finde statt, ist vielleicht gute Wissenschaft, im Grunde aber arglistige Täuschung, ein übles Spiel mit der Hoffnung von verzweifelten Hilfesuchenden.
Mehr als “Placebos”
Was halten Sie Skeptikern entgegen, die hinter den angeblichen Effekten von “Fernbehandlungen”, wie von geistigem Heilen allgemein, lediglich Placebo-Reaktionen und andere psychische Mechanismen am Werk sehen? Dr. Wiesendanger:
Natürlich spielen Placebo-Effekte fast immer mit, wie auch bei jeder ärztlichen Maßnahme, jedem verabreichten Medikament. Aber selbst wenn Geistheiler nichts weiter wären als wandelnde Placebos, müßten die erzielten Wirkungen doch jeden unvoreingenommenen Medizinforscher, jeden nutzenorientierten Arzt eher neugierig machen, statt dogmatische Abwehrreflexe auszulösen. Denn sie lehren, welch enormes Selbstheilungspotential in glaubensbereiten, motivierten Kranken steckt, selbst in vermeintlich “austherapierten” Fällen – und mit welch vergleichsweise einfachen Mitteln es geweckt werden kann. Sie meinen aber, daß mehr dahintersteckt?
Dr. Wiesendanger:
Geistheiler setzen manchmal selbst dann unerwartete Genesungen in Gang, wenn ein Patient gar nicht weiß, daß er behandelt wird. Zum Beispiel bei verdeckten Fernheilungen, bei Bewußtlosen und Kleinkindern, sogar im Doppelblindversuch. In Labortests haben Heiler wiederholt Tiere und Pflanzen, Pilze und Bakterien, isolierte Zellen und Zellbestandteile, ja sogar anorganisches Material meßbar beeinflußt. Wollen wir einer Alge, einem Kressesamen, einem Kolibakterium, einem Enzym im Reagenzglas ernsthaft die Neigung unterstellen, auf Placebos hereinzufallen? Haben Sie eine Erklärung für solche Effekte?
Dr. Wiesendanger: Fragen Sie mich in zehn, zwanzig Jahren nochmals danach. Von einer Theorie geistigen Heilens, welche die ganze Bandbreite an beobachteten Phänomenen einigermaßen befriedigend erklärt, sind wir vorerst noch weit entfernt. Allerdings häufen sich, außerhalb des akademischen mainstream, vielversprechende Erklärungsansätze und Forschungsergebnisse, die darauf hindeuten, daß wir uns von gängigen Vorstellungen verabschieden müssen. Gerade in der Esoterikszene
herrschen nach wie vor die Begriffe “Kraft”, “Strom” und “Schwingung” vor. Dagegen zeichnet sich eine neue Biophysik ab, in der Geistheilung eher in Kategorien wie “Information” und “Potentialfeld” verstanden wird. Jüngste Entwicklungen stellen wir bei den “Psi-Tagen” vor.
Keine Kraftmeierei im Unsichtbaren
Wirkt geistiges Heilen also letztlich aufgrund physikalischer Phänomene? Dr. Wiesendanger:
Es gibt nichts “Übernatürliches” und “Unphysikalisches”, Geist und Materie sind Aspekte der einen Welt. Allerdings wäre es fatal, die Bewertung geistigen Heilens bloß den Physikern zu überlassen – oder den Liebesakt den Physiologen und Biochemikern. Es würde dazu führen, die Rolle von “Potentialfeldern”, “Biophotonenemissionen”, “Skalarwellen” und anderen Faktoren überzubetonen – und damit das Augenmerk von Hilfesuchenden, aber auch von Heilern selbst in die falsche Richtung lenken. Schon jetzt beginnen manche damit, Institutsgutachten über entsprechende Messungen an ihnen geradezu wie Trophäen zu sammeln, wie andere dubiose Doktorentitel von Postfach-Unis irgendwelcher Bananenrepubliken: “Ich produzierte das stärkste Magnetfeld”, “Meine Hände strahlten dreimal mehr Biophotonen ab als andere”, “Ich habe die schönste Hemisphärensynchronisation hingekriegt” undsoweiter. Das französische Chanson hatte seinen “Monsieur 100.000 Volt”, der Heilerbewegung hierzulande ist immerhin bereits ein “Monsieur 190 Volt” entstiegen. Das läßt ahnen, was auf uns zukommen kann, und davor graut mir. Aber
solche Messungen könnten doch endlich objektive Maßstäbe schaffen, an denen sich Heilfähigkeiten bewerten lassen, unabhängig vom Gutdünken der Anwender und den Eindrücken der Behandelten. Dr. Wiesendanger:
Es ist ja nicht damit getan, Patienten irgendwelche “Heilströme” zu vermitteln, die “Informationsstruktur” ihres “Biofelds” zu ändern oder sonstige Kraftmeiereien im Unsichtbaren zu bewerkstelligen. Solche eher technischen Manipulationen könnte man eines Tages vielleicht sogar künstlich reproduzieren - und dann womöglich auf die Idee kommen, Patienten mit entsprechenden Apparaturen alleine zu lassen, weil diese angeblich leisten, was die “Essenz” geistigen Heilens ausmacht. Was spräche eigentlich dagegen?
Dr. Wiesendanger:
Auf diese Weise würde geistiges Heilen am Ende zu einem Kurieren von Symptomen mittels innovativer Technik pervertiert – und damit zu einer Karikatur eben jener seelenlosen Apparatemedizin, von der es sich bislang abhebt. Geistheilungen, zumindest solche mit Langzeitwirkung, vollziehen sich in innigen sozialen Beziehungen mit einer besonderen Psychodynamik, die von den suggestiven und anderen kommunikativen Fähigkeiten des Heilers, seiner Aufmerksamkeit und Geduld, Weisheit und Zuwendung ebenso mitbestimmt wird wie von der Offenheit, Kooperation und Glaubensbereitschaft des Patienten. In jedem guten Heiler steckt immer auch ein fähiger intuitiver Psychotherapeut. Geistiges Heilen ist keine paranormale “Strahlentherapie”, sondern eine Form ganzheitlichen Umgangs mit Personen, die physisch und psychisch aus dem Gleichgewicht geraten sind. Wer nur die physikalischen Aspekte beachtet, übersieht leicht, was Geistheilung wesentlich ausmacht: Liebe, persönliches Wachstum und innere Transformation.
Lektionen aus “primitiven” Heilweisen
Breiten Raum nimmt auf dem “Weltkongreß” die Frage ein, “was unsere Ärzte von fremden Kulturen lernen können”. Werden anderswo denn nicht eher die Lektionen der westlichen Medizin benötigt? Dr. Wiesendanger:
Lernen können beide Seiten. In der Notfallmedizin, der Chirurgie, der Bekämpfung von Infektionen, hormonellen Störungen, Erbkrankheiten und der Behandlung von bestimmten psychiatrischen Fällen etwa liegen die unbestreitbaren Stärken der westlichen Schulmedizin, von denen man nur hoffen kann, daß sie baldmöglichst auch das entlegenste Urwalddorf auf dem Globus erreichen. In anderen Hinsichten aber können unserem Medizinbetrieb vermeintlich “primitive” Vorbilder keineswegs schaden. Manche Dorfgemeinschaft in der Dritten Welt ist weiter, was die Behandlung von Krankheiten innerhalb des psychosozialen Kontexts betrifft, in dem sie entstanden sind; bei der Öffnung für die spirituelle Dimension; bei einem ganzheitlichen Verständnis von Krankheit und Gesundheit; beim Streben nach Gleichgewicht und Harmonie, im Inneren wie mit der Außenwelt. Im
Boom, den der Schamanismus neuerdings bei uns erlebt, wird der heilkundige “Wilde” geradezu romantisch verklärt. Können Sie die Faszination nachvollziehen, die solche reichlich exotischen Hilfsangebote auf westliche Patienten ausüben? Dr. Wiesendanger:
Ein Stück weit ja. Was Medizinmänner in ihren Ursprungskulturen therapeutisch zustandebringen, hat Ethnologen, Anthropologen und fernreisende Mediziner immer wieder beeindruckt und zu überzeugenden Dokumentationen veranlaßt. Auf einem anderen Blatt steht freilich, ob die bleichgesichtigen Großstadt schamanen, die hierzulande nach eingekaufter Instant-“Initiation” Kranken Hoffnung machen, ihren bewunderten Vorbildern auch nur annähernd das Wasser reichen können. Den kulturellen Wurzeln ihrer vorgeblichen Fähigkeiten sind die meisten kaum weniger entfremdet als karnevalistische Winnetous der Welt der Apachen. Was Patienten fasziniert, ist zumeist die Fassade: der wilde Trommelschlag, der bunte Mummenschanz, der unheimliche Fetisch, ekstatischer Tanz und Gesang. Dieses sinnenfrohe Drumherum mag bei einem bestimmten Patiententyp segensreiche Placebo-Reaktionen fördern, sollte aber kein Anlaß sein, die weniger spektakulären Heilweisen geringzuschätzen, die in unserem Kulturkreis zuhause sind: etwa das Handauflegen, Gebetsheilen und Besprechen. (Mehr zu “exotischen” Heilweisen in Geistheiler - Der Ratgeber, Kap. 25 und Das große Buch vom geistigen Heilen, Kap. I.6-9.)
Was nützt, hat Zukunft
Im Mittelpunkt des dritten Kongresstags stehen “Visionen” – sie wollen Ausblicke auf die “Medizin des 21. Jahrhunderts” wagen. Welche Zukunft geben Sie geistigem Heilen? Dr. Wiesendanger:
Sie ist offen. Ich bin kein Prophet. Wie das Vorbild von mehreren hundert Kliniken und Arztpraxen in Grossbritannien lehrt, in denen Heiler vor allem bei der Betreuung chronischer Langzeitpatienten höchst effizient mitwirken, könnte geistiges Heilen ohne weiteres schulmedizinische Maßnahmen jeglicher Art sinnvoll ergänzen. Sofern über Veränderungen im Gesundheitswesen allein erwiesener Nutzen bei minimalen Kosten und Risiken entscheiden würde, wäre es auch bei uns längst soweit. Läßt sich der Nutzen quantifizieren?
Dr. Wiesendanger:
Die zahlreichen Umfragen – ein rundes Dutzend seit den fünfziger Jahren allein in der Schweiz, Deutschland und den Niederlanden - unter zusammengerechnet über 7000 Klienten von Heilern sprechen für sich. Demnach erklären zwei Drittel, ihre Symptome hätten deutlich nachgelassen, nachdem sie zum Heiler gingen; knapp jeder Zehnte erlebte sogar, daß seine Beschwerden seither vollständig verschwanden. Darüber hinaus versichern 95 Prozent, ihr Allgemeinbefinden habe sich wesentlich gebessert. Sind das nicht Zahlen, die jeder schulmedizinischen Therapieform alle Ehre machen würden? Dabei ist sicherlich noch mancher weitere persönliche Zugewinn durch das demoskopische Raster gefallen. Nicht alles, was zählt, läßt sich zählen. Kritiker
tun solche Erfolgsbilanzen damit ab, daß sie bei minder schweren, rein “funktionalen”, suggestiv leicht beeinflußbaren Leiden mit starken psychischen Anteilen erzielt werden. Dr. Wiesendanger:
Die Umfragen belegen das Gegenteil. Geistheiler bekommen es überwiegend mit schwersten “therapieresistenten” Fällen zu tun, überwiegend organischer Art. Rund sieben Jahre hat sich der durchschnittliche Patient mit seinem Leiden herumgequält und ein halbes Dutzend Ärzte konsultiert, ehe er den Mut faßt, einen Heiler aufzusuchen. Drei Viertel schleppten ihre Beschwerden schon mindestens ein Jahr mit sich herum, jeder Dritte über fünf Jahre, jeder Fünfte gar über zehn Jahre. Um so erstaunlicher sind die demoskopisch ermittelten Erfahrungen. Wird sich die Schulmedizin dafür öffnen?
Dr. Wiesendanger:
“Die” Schulmedizin gibt es nicht, ebensowenig wie “die” Esoterik. Den erbittertsten Widerstand leisten einige hundert Betonköpfe an den Spitzen von medizinischen Fakultäten, ärztlichen Standesorganisationen und Gesundheitsbehörden, die um die schon jetzt vorliegenden Forschungsergebnisse einen ebenso weiten Bogen machen wie einst Kardinal Bellarmin um Galileis Fernrohr. Dagegen ist bei einem Großteil der niedergelassenen Ärzte eine erfreuliche Aufgeschlossenheit festzustellen. Aus Umfragen wissen wir, daß drei Viertel von ihnen mindestens ein therapeutisches Verfahren einsetzen, das als “wissenschaftlich nicht anerkannt” gilt, aber trotzdem aus Erfahrung hilft, wie etwa die Homöopathie. Denn in der ärztlichen Praxis, in der täglichen Begegnung mit Hilfesuchenden, steht das Wohl des Patienten im Vordergrund, und diesem nützen geistiges Heilen und andere Aussenseitermethoden zweifellos. Ich kenne viele Ärzte, die bei hartnäckigen eigenen gesundheitlichen Problemen regelmäßig Heiler aufsuchen; die Patienten, bei denen sie selbst nicht weiterkommen, zu Heilern schicken, ebenso wie Angehörige und Bekannte; die Heiler mitarbeiten lassen; die sich in geistigem Heilen ausbilden lassen und es dann selbst anwenden, ohne darüber viel Aufhebens zu machen. Mehrere solche Ärzte werden zum Basler “Weltkongreß” kommen und berichten. Also setzen Sie Ihre Hoffnung auf eine aufgeschlossene Ärzteschaft?
Dr. Wiesendanger:
Ihre Zukunft hat die Heilerszene letztlich selbst in der Hand. Vorerst herrscht in ihr weithin noch eine wehleidige Opfermentalität vor, bei der immer nur die Anderen schuld sind, wenn der Integrationsprozeß nicht recht vorankommt: die böse Pharmalobby, bornierte Politiker, erbarmungslose Richter, oberflächliche Medien, unspirituelle Amtskirchen undsoweiter. Was fehlt, ist politisches Bewußtsein – die Einsicht, daß über sozialen Wandel, auch und gerade im Gesundheitswesen, stets im Spannungsfeld von widerstreitenden Interessen verschiedener Lobbies entschieden wird – und nicht in einem Macht- vakuum, in dem sich Ideen durchsetzen, bloß weil sie gut, edel und schön sind. Woran es in der Heilerszene hapert, ist die Fähigkeit zur Selbstorganisation. Der Niedergang des „Dachverbands Geistiges Heilen“, für den ich fünf Jahre lang in der Szene geworben und gearbeitet habe, ist in dieser Hinsicht ein belämmerndes Lehrstück. Worauf käme es denn an?
Dr. Wiesendanger:
Nötig wären eine wirksame standesethische Selbstkontrolle und überzeugende, auch für Außenstehende nachvollziehbare Maßnahmen zur Qualitätssicherung ebenso wie ein geschlossenes Auftreten nach außen, mittels gemeinsamer Instrumente zur Selbstdarstellung, Aufklärung und Durchsetzung. Von alledem ist die Heilerbewegung im deutschsprachigen Raum noch weit entfernt. An der Schwelle zum 21. Jahrhundert befindet sie sich in keinem wesentlich besseren Zustand als die Schweiz vor 1848 - oder auch Deutschland vor 1871.”
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