“Das britische Vorbild zeigt, dass Arzt und Geistheiler voneinander
profitieren” H. Wiesendanger im Interview mit der Ärzte Zeitung Nr. 49, 16.3.1995 (Auszug)
Einführung Ärzte Zeitung:
“Wo ärztliche Kunst versagt, sind Kranke oftmals bereit, sich einem Geistheiler anzuvertrauen. Allein in Deutschland, so schätzt der Psychologe und Philosoph Dr. Harald Wiesendanger, nehmen jährlich bis zu drei Millionen Menschen die Dienste von Geistheilern in Anspruch. Und die Nachfrage scheint angesichts der zunehmenden Zahl chronischer Krankheiten und psychosomatischer Störungen noch zu wachsen. Doch was ist von den übersinnlichen Fähigkeiten der Geistheiler zu halten, die sich ihre mediale Begabung mitunter kräftig honorieren lassen? In seinem Großen Buch vom Geistigen Heilen führt Wiesendanger anhand authentischer
Patientenberichte vor, welche erstaunlichen Heilungen allein spirituelle energetische Kräfte bewirken können. Ob Handauflegen, Fernbehandlungen, Gesundbeten und Gruppenheilen, Exorzismus, Schamanismus bis hin zu Heilen mit Fetischen oder dem “Besprechen” von Krankheiten - jede Sparte kann mit spektakulären Heilergebnissen aufwarten.
Wiesendanger warnt jedoch davor, sich unkritisch auf die Methode der Geistheiler einzulassen. Er nennt in seinem Ratgeber
denn auch die entscheidenden Kriterien für die Wahl des geeigneten Heilers, die arglose Patienten vor skrupellosen Geschäftemachern und gefährlichen Kurpfuschern schützen sollen. Zum anderen versucht der Experte für paramedizinische Wissenschaften den Vorurteilen beizukommen, geistiges Heilen entbehre jeder medizinisch-wissenschaftlichen Grundlage. Auch mit den gängigen Einwänden, die manche Schulmediziner der unkonventionellen Therapie entgegenhalten, setzt er sich in seinem Werk
auseinander. Schließlich haben wir allen Grund, so Wiesendanger im Gespräch mit ÄRZTE-ZEITUNGs-Mitarbeiterin Anita Heßmann-Kosaris, in geistigem Heilen eine eigenständige, wirksame Behandlungsform zu sehen, die unter gewissen Voraussetzungen endlich legalisiert und in unser staatliches Gesundheitswesen einbezogen werden sollte.”
Ärzte Zeitung: Herr Dr. Wiesendanger, in Ihrem “Großen Buch vom Geistigen Heilen”
stellen Sie fest, dass die Einheitsfront von Kritikern, die “Geistiges Heilen” als okkulten Humbug abtun, auch unter Ärzten mehr und mehr zu bröckeln beginnt. Wie ist diese Entwicklung zu erklären? Wiesendanger: “Die” Ärzteschaft gibt es nicht. Auf Lehrstühlen, in Behörden, in Ärztekammern überwiegen nach wie vor Physikalisten, welche die abendländische Reduktion von Heilkunst auf
Medizintechnik, von Patienten auf Biomaschinen für der Weisheit letzten Schluss halten - und damit auch die Ausklammerung des “Geistes” als therapeutischer Größe. Eine wachsende Zahl von praktizierenden Ärzten hingegen ist der Ansicht, dass Medizin nicht in erster Linie der Wissenschaft, sondern dem Kranken verpflichtet sein sollte. Und dass Geistiges Heilen dem
Großteil der Behandelten gut tut - aus welchen Gründen auch immer -, steht außer Frage. Ich kenne viele Ärzte, die sich nach unvoreingenommener, kritischer Prüfung davon überzeugt haben. Unter der Hand überweisen sie hartnäckig therapieresistente Patienten an Heiler. Sie suchen insgeheim selbst Heiler auf, wenn sie schwer erkranken. In Seminaren entdecken sie sogar eigene Heilkräfte - und wenden sie seither in ihrer Praxis an, ohne es an die große Glocke zu hängen.
Das bedeutet nicht, dass unter Ärzten eine Esoterikseuche grassiert. Es zeigt bloß, daß die Pragmatiker unter ihnen Oberhand gewinnen. Und das ist gut so. Denn wer heilt, hat recht. Wir dürfen auf beinahe jede erdenkliche Weise krank werden. Warum sollten wir nicht auf jede erdenkliche Weise wieder gesund werden dürfen?
Ärzte Zeitung: Was sind die gängigsten Einwände, die auch heute noch von Seiten der Ärzteschaft dem geistigen Heilen entgegengebracht werden?
Wiesendanger: Auch der hartgesottenste Schulmediziner kann nicht bestreiten, dass Geistheilung wirkt. Nur der paranormalen Erklärung ihrer Erfolge widerspricht er entschieden. Was
Handaufleger, Fernheiler, Gesundbeter und dergleichen zustande bringen, führt er auf Spontanremissionen, Suggestionen und Placebo-Effekte zurück. Damit trifft er sicherlich einen Teil der Wahrheit. Aber nicht die ganze.
Ärzte Zeitung: Könnten nicht Spontanremissionen tatsächlich einen Großteil der “Wunderheilungen” erklären?
Wiesendanger: Der Begriff der “Spontanremission” erklärt
überhaupt nichts. Er beschreibt lediglich etwas - und zwar in erster Linie kein besonderes Ereignis, in das ein Patient verwickelt ist, sondern die Unfähigkeit des Beurteilers, dieses Ereignis zu verstehen. “Spontan” bedeutet in diesem Zusammenhang: ohne Ursachen, die im Weltbild westlicher Schulmediziner Platz haben. Es bedeutet nicht, dass keine Ursachen vorhanden sind. Es gibt nichts Unbewirktes. Könnte zu diesen Ursachen nicht eine physikalisch
noch unergründete Energie gehören, die ein fähiger Geistheiler irgendwie kanalisieren kann?
Ärzte Zeitung: Wie läßt sich der Vorwurf entkräften, beim geistigen Heilen sei weiter nichts als geschickte Suggestion im Spiel, in Verbindung mit Placebo-Reaktionen - also einem unerschütterlichen Glauben an die “übermenschlichen” Fähigkeiten des Heilers, der beim Patienten Selbstheilungskräfte freisetzt?
Wiesendanger:
In der Praxis sind diese Faktoren nie auszuschließen. Das gilt für ärztliche Maßnahmen allerdings ebenso wie für geistiges Heilen. Dass mehr dahintersteckt, lehren uns medizinisch gut dokumentierte Fälle, in denen sich Patienten nahezu schlagartig von fortgeschrittenen, chronischen Leiden erholten, nachdem sich ein Fernheiler auf sie zu konzentrieren begann - ohne ihr Wissen. Auch etliche placebokontrollierte Doppelblindstudien
deuten darauf hin, unter anderem bei Hautwunden und koronarer Herzkrankheit. Und auch bei Pflanzen, bei Pilzen und Bakterien, bei Enzymen, bei isolierten Zellen und Zellbestandteilen, sogar bei anorganischem Material haben Geistheiler im Laborversuch schon physikalisch “unmögliche” Effekte erzielt - bei Zielobjekten also, denen wir schwerlich unterstellen würden, auf Placebos hereinzufallen. Eine Fülle solcher Untersuchungen sind in meinem Großen Buch vom Geistigen Heilen zusammengetragen.
Ärzte Zeitung: Sie plädieren für eine Zusammenarbeit von Ärzten und Geistheilern. Ist das überhaupt eine realistische Vorstellung?
Wiesendanger: Das britische Vorbild beweist dies seit Jahrzehnten. Schon 1959 öffneten fast 200 Krankenhäuser ihre Tore für geistige Heiler - damals noch gegen den heftigen Widerstand der Britischen Ärztekammer, heute mit deren missmutigem Segen. Inzwischen sind bereits über
1500 Kliniken für Heiler zugänglich. Niedergelassene Ärzte dürfen seit 1985 ihre Patienten an Geistheiler überweisen, sofern sie den Behandlungsverlauf weiterhin überwachen. Allein in London arbeiten Geistheiler bereits in sechs Arztpraxen mit. Alle Beteiligten sind zufrieden. Der Heiler profitiert vom medizinischen Fachwissen des Arztes, das ihm fehlt. Der Arzt profitiert von den intuitiven Fähigkeiten des Heilers. Und vor allem profitiert der Patient
. (Siehe dazu ausführlich H. Wiesendanger, “Für eine Medizin mit mehr Geist” in ders. (Hrsg.): Geistiges Heilen für eine neue Zeit - Vom ‘Wunderheilen’ zur ganzheitlichen Medizin.)
Ärzte Zeitung: Was müßte sich Ihrer Meinung nach ändern, um dieses Ziel zu erreichen?
Wiesendanger:
Zum einen brauchen wir liberalere gesetzliche Rahmenbedingungen. Geistheiler unter das Joch des Heilpraktikergesetzes von 1939 zu zwingen, das sie zu Straftätern stempelt, solange sie keine anspruchsvolle medizinische Fachprüfung bestehen, ist eine Zumutung. Ebensogut könnte der Staat von Autofahrern verlangen, über den Aufbau einer Zylinderkopfdichtung oder die Konsistenz der Bremsflüssigkeit Bescheid zu wissen, ehe sie einen
Führerschein bekommen - oder Paaren mit Kinderwunsch ein Pädagogikstudium aufzwingen, ehe sie Kinder kriegen dürfen. Um einem Hilfesuchenden die Hände aufzulegen oder für ihn zu beten, benötigt ein Geistheiler weder ärztliche Kenntnisse - noch beansprucht er sie.
Zum zweiten muss Ärzten erlaubt sein, mit einem medizinischen Laien zusammenzuarbeiten. Bislang drohte ihnen der Entzug der Approbation, falls sie dies wagen.
Ärzte Zeitung: Das allerdings würde zur Folge haben, dass die Krankenkassen auch noch für unsichtbare Heilenergien aufkommen müssten ...
Wiesendanger: Ob sie dabei draufzahlen müssten, bezweifle ich. Aus mehreren britischen Arztpraxen liegen Statistiken vor, denen zufolge die mittleren Behandlungszeiten, der Medikamentenkonsum, die Anzahl der Arzttermine und damit die Kosten deutlich gesunken sind,
seit ein Geistheiler dort mitarbeitet. Bei chronischen, vermeintlich therapieresistenten Leiden war der Einspareffekt am größten. (Siehe dazu ausführlich Geistheiler - Der Ratgeber, Kap. 18 “Geistheilung auf Krankenschein?”)
Inwieweit dabei “unsichtbare Heilenergien” mitspielen, ist zweitrangig. Die fähigsten
Geistheiler, die ich kennengelernt habe, waren immer auch hervorragende intuitive Psychotherapeuten. Von der Geduld, dem Einfühlungsvermögen, der Anteilnahme und Zuwendung, die sie Notleidenden schenken, könnte sich mancher Arzt eine dicke Scheibe abschneiden. Jedes Plädoyer dafür, Geistheiler formell in unser Gesundheitswesen zu integrieren, ist immer auch ein Einsatz für einen liebevolleren, ganzheitlichen Umgang mit Patienten - für mehr Humanität in der Humanmedizin.
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