FOCUS: Die Basler PSI-Tage gelten als größte Esoterik-Messe der Welt. Darf man überspitzt behaupten, Sinnsuchende treffen Geldsuchende? Wiesendanger: Volltreffer – jedenfalls was den üblichen Messezirkus betrifft. Eben davon heben sich die “Psi-Tage” aber seit 21 Jahren ab: als Kongress für Grenzfragen der Wissenschaft,
der einem möglichst breiten Publikum in aufgeschlossener Distanz Phänomene näherzubringen versucht, die der normale Forschungsbetrieb übersieht, verkennt oder totschweigt. FOCUS: Wie hat die Wirtschaftsflaute der letzten Jahre der Esoterik-Branche geschadet? Wiesendanger: Zumindest der esoterischen Heilerei überhaupt nicht. Chronisch krank und aus schulmedizinischer Sicht "therapieresistent" sind Millionen
Deutsche ja konjunkturunabhängig. Und für erhoffte "Wunder" greifen sie bei jeder Wirtschaftslage tief in die eigene Tasche. Für Deutschland gehe ich von rund 7000 haupt- und nebenberuflichen Heilern, durchschnittlich 3 Sitzungen pro Arbeitstag und einem Durchschnittshonorar von 30 bis 50 Euro aus. (Mit extremen Schwankungen um diese Mittelwerte.) Hochgerechnet ergäbe das für die Branche einen geschätzten Bruttoumsatz von
rund einer Viertelmilliarde Euro pro Jahr. Das Interesse an Geistheiler hat in den letzten Jahren sogar zugenommen. FOCUS: Den Trend haben Kirchen und Ärzte bereits aufgegriffen. Bewegen sich klassische Medizin und Geistheiler auf einander zu (im Vorabdruck ihres neuen Buches “Geistiges
Heilen in der ärztlichen Praxis”schildern Sie Fälle)? Wiesendanger: Hochschulmedizin, Krankenkassen, Ärztekammern und Standesvertretungen anderer Heilberufler mauern nach wie vor. Dagegen tut sich zunehmend etwas an der Basis, in der ärztlichen Praxis: In Deutschland kenne ich mehrere Dutzend Ärzte, die Heiler in ihre Praxis holen, ihnen unter der Hand Patienten zuweisen oder sogar selber "geistig heilen",
ohne viel Aufhebens darum zu machen. Sympathisanten Geistigen Heilens sollten vor lauter Freude darüber, dass sich ihm immer mehr praktizierende Ärzte zu öffnen beginnen, allerdings nicht versäumen, die Motive zu hinterfragen. Nicht jeder Arzt, der plötzlich mit Heilern kollaboriert oder sich gar selber handauflegend an seiner Kundschaft zu schaffen macht, tut dies aus innigster Überzeugung, wie wertvoll und nützlich diese Heilweise doch ist. Gerade dadurch, daß er sich unter
seinesgleichen exponiert und öffentliches Aufsehen erregt, befriedigt er Eitelkeiten. (”Ich, der einsame Vorkämpfer!”) Und selbstverständlich spielt oft auch ein handfestes finanzielles Kalkül mit: Auf dem umkämpften Gesundheitsmarkt verschafft sich einen Wettbewerbsvorteil, wer sich dem Nachfragedruck der wundersuchenden Patienten beugt und sein Behandlungsrepertoire um ”geistige” Praktiken ergänzt. FOCUS
: Wie bewerten sie die "wissenschaftlichen Wirkbeweise" von Geistheilern wie etwa Christos Drossinakis oder die so genannte GDV-Kamera von Konstantin Korotkov, mit der er angeblich Geistheileffekte belegen kann?? Wiesendanger: Von "Beweisen" sollten wir erst sprechen, wenn andere Wissenschaftler die Daten überprüft und bestätigt haben. Immerhin ist ihr heuristischer Wert beachtlich. Denn sie
deuten darauf hin, dass zumindest manche Heiler imstande sind, rätselhafte physikalische Effekte zu erzielen, die mitspielen könnten, wenn sie Behandlungserfolge erzielen. Im Laborversuch verändern sie die Struktur von H2O-Molekülgittern, die Hirnströme und Hauttemperatur von "blind" Fernbehandelten, das Wachstum von isolierten Tumorzellen und Pilzkulturen. Das lässt vermuten, dass zumindest manche Geistheiler nicht bloss als
wandelnde Placebos wirken, durch suggestive Kraft und Charisma, sondern eine echte Therapie anzubieten haben. FOCUS: Zu jeder scheinbaren Therapiewirkung liefern Eso-Skeptiker aber postwendend eine vernichtende Kritik. Welcher Geistheiler oder welche Therapie erfüllt denn wissenschaftliche Kriterien? Wiesendanger: Was für Skeptiker meinen Sie? Ich kenne keinen einzigen, der auf der Höhe des aktuellen Forschungsstands argumentiert. Inzwischen liegen mehrere hochwertige, placebo-kontrollierte Doppelblindstudien vor, unter anderem an Patienten mit chronischen
Herzleiden, Schmerzen, Wunden, unerfülltem Kinderwunsch und Aids in fortgeschrittenstem Stadium. Darüber hinaus beeinflussten Heiler in Labortests wiederholt niedere Tiere, Pflanzen, Pilze, Bakterien, isolierte Zellen, Enzyme, Wasserproben und anderes anorganisches Material – Objekte also, die bisher nicht im Verdacht stehen, auf Placebos hereinzufallen. Inzwischen ist Geistiges Heilen eine der wissenschaftlich bestfundierten
komplementären Therapierichtungen überhaupt. Jede Wette: Wäre es der Name einer Pille, die in den Forschungslabors von BASF oder Bayer, Pfizer oder Merck entwickelt worden wäre – es hätte längst die Zulassung. FOCUS: Die katholische Kirche setzt in vielen Veranstaltungen auf Wunder-Phänomene und Einladungen zu Meditationstänzen gehören schon in fast in jeden Gemeindebrief. Was ist los mit den Christen? Wiesendanger: Sie erinnern sich endlich daran, was praktiziertes Christentum einst wesentlich einschloss: Krankenhilfe. Jesus von Nazareth war nicht nur Heilsbringer, sondern Heiler. FOCUS: Wäre Jesus als “Wunderheiler” heute unter uns, was würde ihm geschehen? Wiesendanger: Er übte Heilkunde im Umherziehen aus. Er setzte nicht zugelassene Arzneimittel ein - z.B. einen mit Speichel getränkten Klumpen Erde zur Blindenheilung (Joh 9, 1-12). Handauflegend, gesundbetend und exorzierend kurierte er Kranke, ohne als Arzt approbiert oder wenigstens als
Heilpraktiker staatlich anerkannt zu sein. Deshalb säße Jesus Christus, als besonders hartnäckiger Wiederholungstäter, längst hinter Schloss und Riegel, falls er heute unter uns wäre. FOCUS: Kann man Scharlatane von seriösen Heilern unterscheiden? Wiesendanger: Kommt drauf an, was Sie unter einem "Scharlatan" verstehen. Seit zehn
Jahren lege ich Hilfesuchenden eine Liste von Merkmalen ans Herz, auf die sie achten sollten, wenn sie sich auf Heiler einlassen. Diese Merkmale vom allerersten Kontakt an zu checken, ist kein Kunststück. Für einen seriösen Heiler gilt insbesondere: Er verspricht keine Linderung oder gar Heilung. Er arbeitet nicht in Konkurrenz zu ärztlichen Maßnahmen, sondern komplementär. Dies schließt ein: Er vermeidet alles, was einen Hilfesuchenden
veranlassen könnte, ärztliche Konsultationen/Behandlungen hinauszuzögern oder zu unterlassen, zu unterbrechen oder abzubrechen. Er empfiehlt keine Arzneimittel und enthält sich jeglichen Ratschlags, Arzneimittel abzusetzen oder anders einzunehmen als ärztlich verordnet. Er stellt keine Diagnosen. Sexuelle Beziehungen zu Hilfesuchenden sind für ihn tabu. Er setzt Hilfesuchende niemals unter Druck - sei es durch Versprechungen oder
Drohungen -, eine Behandlung bei ihm zu beginnen oder fortzusetzen. Er wirbt nicht mit irreführenden Titeln wie "Geprüfter Heiler", "Diplom-Heiler", "Anerkannter Heiler" und dergleichen. Soweit er sich seine heilerische Tätigkeit honorieren lässt, trifft er mit Hilfesuchenden ausdrückliche, unmissverständliche Vereinbarungen über Leistung und Gegenleistung, bevor die Behandlung beginnt.
Allerdings sollte ein Heiler nicht nur "seriös", sondern auch fähig sein. Das heißt: Er sollte imstande sein, bei einem hohen Prozentsatz seiner Klienten medizinisch nachweisbare Besserungen zu erreichen - und zwar nicht bloß suggestiv, sondern mittels jener "heilenden Energie", die er zu kontrollieren vorgibt. Um das festzustellen, müssten wir dieses mysteriöse Etwas erst einmal physikalisch verstehen und messen können; wir müssten wissen, dass und
wie der Heiler mit dieser "Energie" umgeht; dass er sie nicht nur gelegentlich, sondern bei jeder Behandlung einzusetzen versteht; dass er sie richtig dosiert usw. Insofern tappen Hilfesuchende vorerst leider völlig im Dunkeln darüber, ob sie es mit einem echten Könner oder einem Möchtegern zu tun haben. Die wenigen Naturwissenschaftler, die eine größere Zahl von selbsternannten "Heilern" bisher auf ihre "energetischen" Fähigkeiten getestet haben
, gehen davon aus, dass nicht einmal jeder Zehnte darüber verfügt. FOCUS: Auf den Basler PSI-Tagen tummeln sich aber neben Heilern, die diesen Kriterien genügen, auch die bekanntesten Scharlatane der Branche. Wiesendanger: Nicht jeder, der schon mal am Medienpranger von quotengeilen Hexenjägern
stand, wird für uns allein deswegen schon zur unerwünschten Person. Ich kenne etliche Heiler, deren Praxis moralisch fragwürdig ist – die aber herausragen, was ihre therapeutische Effizienz und ihre Beiträge zu Forschungsprojekten anlangt. Überraschen kann das nur jemanden, der “Heiler” und “Heiliger” für Synonyme hält. Wer sich allerdings bei unserem Kongress als Scharlatan gebärdet, wird abgemahnt und heimgeschickt, wie schon in früheren Jahren. Beim Aufpassen unterstützt uns ein eigens zusammengestelltes Ärzteteam. FOCUS: Als Highlight ist die PSI-Diagnostik angekündigt. Wie erfolgreich waren die Geistheiler bei der Ferndiagnose von Krankheiten? Wiesendanger: Bis drei Wochen vor Kongressbeginn waren unter rund dreißig Einsendungen ausnahmslos Nieten. Psi-Diagnostik deswegen kurzerhand als Unfug abzutun, wäre aber voreilig. In englischen, amerikanischen und Schweizer Kliniken haben Heiler den Ärzten schon oft hilfreiche Fingerzeige bei unklaren Krankheitsursachen geliefert. FOCUS
: Erstmals kommt ein Experte aus dem Irak nach Basel. Was ist über Geistheilung in Bagdad bekannt? Wiesendanger: Nicht viel mehr, als dass Saddams Clan nicht zur Klientel zählte. Schade, denn Geistiges Heilen hilft auch bei psychischen Problemen. |