Ist der Mensch eine Biomaschine? Oder hebt ihn der Besitz einer “Seele”, eines “Geistes” aus der Natur heraus? Am
Horizont zeichnet sich ein geschlossenes, auf der Physik aufbauendes wissenschaftliches Weltbild ab, in dem sich der Mensch als biochemischer Automat wiederzufinden hat, organisierte Materie durch und durch. Was uns daran abstößt, fließt keineswegs nur aus angelesener akademischer Bildung; ich erläutere acht Gründe, aus denen wir uns intuitiv zu einem Dualismus hingezogen fühlen. Das Leib/Seele-Problem geht nicht nur Fachleute an, weil bei ihm auf dem Spiel steht, wie
verläßlich diese Intuitionen sind. Daß sie trügen, legen neueste Entwicklungen in der Philosophie des Geistes nahe. Weil der moderne Materialismus, der seit Mitte der fünfziger Jahre Gestalt annimmt, darin die Hauptrolle spielt, steht er im Mittelpunkt dieses Buches. Abschließend skizziere ich, welche Folgen
die Auseinandersetzung um ihn hat: für alle anderen Zweige der Philosophie; für das Selbstverständnis der Philosophie insgesamt; für mitbetroffene Nachbardisziplinen, insbesondere für die “Geistes”wissenschaften.
Das klassische Leib/Seele-Problem
Schon die griechische Antike spekulierte über Seele und Geist. Doch die Idee des “Mentalen” - eines einzigartigen, nichtphysikalischen Bereichs von Phänomenen -
entwickelte sich erst im 17. Jahrhundert, nachdem der französische Philosoph René Descartes “bewies”: Wir müssen aus einer “ausgedehnten Substanz”, dem Körper, und einer “denkenden Substanz” (res cogitans) zusammengesetzt sein, die Bewußtseinszustände wie Gedanken, Erinnerungen, Sinneseindrücke, Wünsche, Gefühle und Vorstellungen umfaßt. Ich zeichne nach, wie sich Descartes´ Dualismus aus seinem
erkenntnistheoretischen Projekt ergab, die Möglichkeit von Wissen gegen die Kunstfigur des philosophischen Skeptikers in Schutz zu nehmen. Der cartesischen Kluft zwischen Physischem und Mentalem entstiegen, geistert durch die Philosophiegeschichte seither das “Leib/Seele-Problem”: Dualisten fiel es schwer zu erklären,
wie ein “immaterieller” Geist jemals mit Materie wechselseitige Kausalbeziehungen eingehen kann, wie offenbar bei Wahrnehmungen und Handlungen. (Andere Spielarten des Dualismus - Okkasionalismus, Parallelismus, Epiphänomenalismus - helfen hier ebensowenig weiter wie Descartes´ Interaktionismus.) Materialisten andererseits rangen mit der Schwierigkeit, daß seelisch-geistige Zustände vielerlei Merkmale aufweisen, die in der
physischen Welt anscheinend ihresgleichen suchen: darunter Bewußtsein, Intentionalität, Unräumlichkeit, Privatheit, zweifelsfreie Gegebenheit, subjektives Erscheinen.
Der “Linguistic Turn” und die sprachanalytische Behandlung des Leib/Seele-Problems
Aus diesem Dilemma versprach Anfang des 20. Jahrhunderts der “Linguistic Turn”, die “sprachanalytische Wende” in der Philosophie, einen Ausweg. Übereinstimmend argumentierten der Wiener Kreis um Rudolf Carnap und die Oxforder Schule um Gilbert Ryle: Sorgfältige Untersuchungen unserer Sprachlogik zeigen, daß wir uns mit Ausdrücken
wie “denken”, “fühlen”, “empfinden” oder “wünschen” nicht etwa auf gespenstische innere Episoden in einer von außen unzugänglichen Privathöhle beziehen, sondern auf beobachtbares Verhalten und seine äußeren Umstände. Die Frage, ob jene inneren Episoden eher materieller oder immaterieller Natur sind, stelle sich deshalb gar nicht erst. Das Leib/Seele-Problem sei ein metaphysisches Pseudo-Problem, Dualismus wie
Materialismus böten begriffsverwirrte “Lösungen” an, wo “aufgelöst” werden müsse.
Die Entwicklung des modernen Materialismus
Mitte der fünfziger Jahre, als mit dem allmählichen Niedergang des “Analytischen” Programms auch die Schwächen von Carnaps und Ryles “Logischem Behaviorismus”
immer deutlicher wurden, drohte eine Renaissance des Dualismus. Ihn abzuwehren, trat der Materialismus erneut auf den Plan: Gestützt auf einen “Wissenschaftlichen Realismus”, unternahm er in seinen drei wichtigsten Spielarten - Identitätstheorie, Eliminativer Materialismus, Funktionalismus - nacheinander drei Anläufe, eine Theorie des Geistes zu entwickeln, die aus der Sackgasse des klassischen Materialismus herausführt. Ich zeichne die
dreißigjährige Entwicklungsgeschichte dieser Theorie nach, erläutere Modelle und Motive, stelle ihre namhaftesten Vertreter vor, weise auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten hin, hebe Schwächen und Vorzüge hervor. Im Anschluß daran belege ich, daß ihr die Standardeinwände von dualistischer Seite inzwischen nichts mehr anhaben können: Dem wesentlich “subjektiven”, “phänomenalen” Charakter unserer Bewußtseinszustände wird
der heutige Materialismus ebenso gerecht wie ihrer “Intentionalität”, ihrer sonderbaren Fähigkeit, gleichsam über sich hinauszuweisen und sich auf andere Objekte zu beziehen; unseren Handlungen und ihren Gründen ebenso wie unserer Identität, Kreativität, Freiheit und Verantwortung; ja, selbst paranormalen Erscheinungen. Abschließend korrigiere ich das unter Naturwissenschaftlern verbreitete Vorurteil, für oder gegen die Existenz des
Mentalen ließen sich irgendwelche empirischen “Beweise” oder “Widerlegungen” beibringen.
Das Leib/Seele-Problem löst sich auf
Hat sich das Leib/Seele-Problem damit letztlich doch gelöst - im materialistischen Sinne? Um eine weitere “Verteidigung des Materialismus” geht es hier nicht. Tatsächlich verdanken wir dem modernen Materialismus weniger eine wiederbelebte Theorie des
Mentalen als eine Fundgrube guter Argumente dagegen, bestimmten Phänomenen, nur weil sie in irgendeiner Hinsicht außergewöhnlich sind, das Etikett “mental” anzukleben. Soweit es diesen Argumenten gelingt, den Dualismus abzuwehren, “bestätigen” sie nicht etwa, wie recht der Materialismus immer schon hatte -
sie erübrigen ihn, ja, sie entleeren ihn jeglichen Sinns. Denn sie zeigen, was Hume, Kant und Ryle zu zeigen versuchten: Wir sitzen einem Pseudoproblem auf. Das Buch schließt mit dem Argument, daß Materialisten wie Dualisten seit drei Jahrhunderten ihr Thema verfehlt haben, irregeführt durch Descartes´ Fehlschluß von einer unhaltbaren erkenntnistheoretischen Unterscheidung (zwischen Bezweifelbarem und absolut Gewissem) auf eine ontologische Kluft. Die Idee
des “Geistes” war die Idee eines Fundaments von unerschütterlichen Gewißheiten, auf dem all unsere Überzeugungen rekonstruiert werden können und müssen, ehe sie zu Wissen werden. Diese Idee beherrschte jahrhundertelang die Philosophie, weil sie ihr zu einem neuen Selbstverständnis verhalf, das ihr Überleben im Zeitalter der Naturwissenschaften sicherte. Denn sie bewahrte ihr einen eigenen Gegenstandsbereich (das Reich des Mentalen
), eine eigene Methode (Bewußtsein und Introspektion), dazu ihren traditionellen Anspruch auf notwendige Wahrheit und Letztbegründung. Das Leib/Seele-Problem aufzulösen erfordert, diese Idee zu erschüttern. Dazu rekonstruiere ich Argumente von Ludwig Wittgenstein, Wilfrid Sellars und Richard Rorty.
Nach-gedacht: Philosophie ohne Leib/Seele-Problem
Mit dem Leib/Seele-Problem verschwindet mehr. Seine Auflösung wirft ein bezeichnendes Licht auf die akademische Philosophie der Neuzeit: auf die Natur ihrer Fragestellungen, die Eigenart ihres Forschungsbereichs, den Erkenntniswert ihrer Methoden, den Status ihrer Theorien. Mit der Idee des Mentalen verliert dieses Fach die Hauptstütze einer Ideologie, durch die sie sich als Wissenschaft neben anderen legitimiert hat, und Ersatz ist nicht in Sicht. Gemessen an ihren eigenen Ansprüchen, hat die Philosophie als eigenständiges Fach im Universitätsbetrieb keine Existenzberechtigung mehr; denn installiert wurde dieses Fach in staatlichen Bildungsprogrammen zu Zeiten, als es noch unbedarft mit dem Versprechen antrat, den ganzen Rest von Wissenschaft und Kultur vor den Richterstuhl der reinen Vernunft zu
zitieren. Kultuspolitiker richten ihm besser Lehrstühle im historischen Seminar ein - und beschränken es auf eine distanzierte Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte, die klar genug ausfällt, um Wissenschaftlern und Laien, wenn sie ins Philosophieren geraten, die begrifflichen Ab- und Irrwege der eigenen Vergangenheit zu ersparen. Das allein wäre schon mehr als genug - und mehr, als bis heute geschehen. |