“Mein Leben ... war mir
oft wie eine Geschichte erschienen, die keinen Anfang und kein Ende hat. Ich hatte das Gefühl, ein historisches Fragment zu sein, ein Auszug, für den der vorhergehende und nachfolgende Text fehlte.” Carl Gustav Jung Sie war Tempeltänzerin in Thailand, maurische Gutsherrin in Andalusien, Knabe im Alten Ägypten, Indianer in den Rocky Mountains. Mit ihrer Tochter teilt sie ein Vorleben unter Beduinen, mit ihrem
Vater eines in Arabien, mit ihrem Mann - damals ihr Vater - in Spanien. An insgesamt 41 Inkarnationen in anderen Körpern kann sich Marianne B. erinnern. Von ihrer Echtheit ist die 57jährige Hausfrau aus Schüpfen bei Bern "völlig überzeugt" - wie die Mehrzahl der Teilnehmer an der laufenden Studie "Reinkarnation: Erfahrungen und Einstellungen im
deutschsprachigen Raum". (Siehe Text “‘Frühere Leben‘ unter der Lupe”.) Türöffner zu ihren früheren Selbsten war ein Reinkarnationstherapeut: Im Mai 1992 hatte er Marianne B. vier Stunden lang "zurückgeführt". Vor allem solche "Rückführungen", von Massenmedien reisserisch
ausgeschlachtet, haben die Idee der Reinkarnation seit den fünfziger Jahren in der westlichen Welt immer populärer gemacht. Was jahrtausendelang als religiöse Glaubenssache galt, scheint nunmehr erfahrbar und erforschbar - nicht nur für fernöstlich angehauchte esoterische Zirkel, sondern für jedermann, sofern er nur Neugier und Mut aufbringt, sich unvoreingenommen darauf einzulassen. Mittlerweile glauben schon 26 Prozent aller Deutschen an eine wie auch immer verstandene
"Wiedergeburt", wobei sich häufige Kirchgänger (30 Prozent) mit dieser Vorstellung überraschenderweise leichter tun als "Selten- und Nie-Gänger" (23 Prozent).1 Gar 35 Prozent aller Schweizer erklären sich "voll und ganz" oder zumindest "eher" einverstanden mit der Behauptung, dass "es eine Reinkarnation der Seele in einem anderen Leben gibt". Noch höher liegt die Akzeptanz bei Frauen (37 Prozent).2 (Zehn Jahre
zuvor, 1989, hatte die gleiche Umfrage erst eine Zustimmungsquote von 29 Prozent ermittelt.) Aber machen Rückführungen frühere Leben tatsächlich erlebbar? Zumindest die schätzungsweise zweitausend Reinkarnationstherapeuten und sonstigen "Rückführer" im deutschsprachigen Raum plagen kaum Zweifel daran: Die allermeisten von ihnen halten über 80 Prozent der vermeintlichen "Wiedergeburtserlebnisse" für echt. Dafür spricht ihres Erachtens: -
Die Eindrücke vom "früheren Selbst" und seinen einstigen Lebensumständen fallen oft verblüffend detailliert aus. - Häufig sind sie mit heftigen Emotionen, intensiven optischen und anderen Sinneseindrücken verbunden. - In der Regel identifiziert sich der "Zurückgeführte" voll und ganz mit seinem "früheren Selbst". Skeptiker zeigen sich davon unbeeindruckt. Derartige Erlebnisse suggestiv zu erzeugen, stelle einen halbwegs
geübten Hypnotiseur vor keinerlei Probleme, so geben sie zu bedenken.Oft aber treten "Reinkarnationserlebnisse" auch spontan auf. Sie treffen den, der sie macht, völlig unvorbereitet, verblüffen und überwältigen ihn: sei es während einer Meditation, in wiederkehrenden Träumen, in plötzlichen Visionen bei vollem Bewusstsein, oder auch bei Déjà-vu´s: sicheren Eindrücken, einer fremden Person schon begegnet, an einem erstmals besuchten Ort bereits gewesen zu sein. Häufig geben spontane
"Erinnerungen an frühere Leben" überhaupt erst den Anstoß dazu, sich auf "Rückführungen" einzulassen. Ob spontan oder provoziert: samt und sonders Hirngespinste? Doch gelegentlich fallen die vermeintlichen Erinnerungen an Vorleben in anderen Körpern derart präzise aus, dass ihnen in historischen Quellen nachgeforscht werden kann. Vereinzelt stellt sich dabei heraus, dass zu den angegebenen Zeiten und Orten tatsächlich eine Person gelebt hat,
auf die der "erinnerte" Name, Alter, Beruf, Gewohnheiten, einschneidende Lebensereignisse und eine Fülle weiterer Merkmale passen, auf die durch blosses Herumraten schwerlich zu kommen wäre.Zu den überzeugendsten Fällen dieser Art zählen Kinder, die sich voll und ganz mit einem Verstorbenen identifizieren, kaum dass sie sprechen können. Seit Anfang der sechziger Jahre hat Professor Ian Stevenson (Jg. 1918), Professor für Psychiatrie an der Universität von Virginia in
Charlottesville, über 2600 derartigen Fällen rund um den Erdball akribisch nachgeforscht; die überzeugendsten veröffentlichte er in mehreren Bänden. In seinen Fußstapfen stießen andere Forscher - darunter der Psychologie-Professor Erlendur Haraldsson von der Universität Rejkjavik, Island, der in Basel referieren wird - auf Dutzende weiterer sogenannter Cases of Reincarnation Type (CORT). Träfe ein Kleinkind über einen Verstorbenen, als dessen Wiedergeburt es sich fühlt, bloss zwei,
drei zutreffende Aussagen, obwohl weder es selbst noch sein soziales Umfeld je zuvor mit ihm zu tun hatten, so könnte noch Zufall im Spiel sein. Beim typischen CORT jedoch liegen zwei Dutzend solcher Aussagen vor, von denen sich drei Viertel als wahr erweisen. Neben verifizierten (überprüften und bestätigten) "Reinkarnationserinnerungen" finden sich in Stevensons und Haraldssons Sammlungen vereinzelt aber auch in Praxisunterlagen von Reinkarnationstherapeuten etliche weitere
Absonderlichkeiten, die Wiedergeburt durchaus nahezulegen scheinen: Ø Sie weisen merkwürdige Muttermale, unerklärliche Mißbildungen oder andere körperliche Besonderheiten auf, die verblüffend genau zu Ereignissen passen, die ihm in seinem angeblichen früheren Leben widerfuhren, z.B. eine tödliche Verletzung. (Auf Sri Lanka, dem früheren Ceylon, stiess Haraldsson etwa auf die heute 13jährige Purnima Ekanayake, von der er in Basel berichten wird: Nicht nur
schilderte sie zutreffend 14 Details aus dem Leben eines gewissen Jinadasa Perera, ihres angeblichen “früheren Selbst”, der in einem 232 km entfernten Dorf gelebt hatte. Auf ihrer Brust trug sie von Geburt an Pigmentierungen, die an Abdrücke der Rillen eines Autoreifens erinnerten; Jinadasa war im April 1985, zwei Jahre vor ihrer Geburt, umgekommen, als ihn ein Bus überfuhr. Wie sein Totenschein auswies, hatte ihn ein Rad an genau der gleichen Stelle überrollt, an der bei dem
Mädchen nun die Hautanomalie auftrat.) Ø An den nach eigener Überzeugung "Wiedergeborenen" fallen besondere Fähigkeiten und Fertigkeiten auf, die sie schwerlich in ihrem jetzigen Leben erlernt haben können: zum Beispiel das Beherrschen einer fremden Sprache oder einer handwerklichen Fertigkeit. (Purnimas “früheres Selbst” hatte seinen Lebensunterhalt mit dem Fertigen von Räucherwerk verdient – und Purnima wusste, im Unterschied zu
all ihren Verwandten und sonstigen Kontaktpersonen, über diese Handwerkskunst bestens Bescheid.) Ø Aus einer grösseren Auswahl von Gegenständen finden sie treffsicher diejenigen heraus, die tatsächlich jenen Verstorbenen gehörten, für deren Wiedergeburt sie sich halten. Ø Bei Gegenüberstellungen erkennen sie Verwandte, Freunde und Bekannte ihres “früheren Selbst” auf Anhieb aus einer grösseren Anzahl von Personen
wieder, können sie oft sogar korrekt beim Namen nennen, deren Eigenheiten und bedeutsame Lebensereignisse schildern. Ø Von frühester Kindheit an fühlen sie sich zu bestimmten Fremden auf Anhieb viel stärker hingezogen als zu ihren eigenen Eltern - weil sie in diesen Fremden Menschen wiederzuerkennen meinen, die in ihrem früheren Leben von Bedeutung waren. Ø Hin und wieder kündigt jemand sogar Ort, Zeit und Umstände an, unter
denen er wiedergeboren werden wird; nach seinem Tod läßt sich dann tatsächlich ein Kind ausfindig machen, auf das seine Prophezeiung passt. (Tibetische Buddhisten finden auf diese Weise seit Generationen ihr geistliches Oberhaupt, den Dalai Lama.)
Sich an der mühsamen Suche nach derartigen Anhaltspunkten zu beteiligen, haben freilich die wenigsten Reinkarnationstherapeuten und ihre Klienten Zeit und Lust. Für sie liegt der überzeugendste Beleg
dafür, dass "Wiedergeburtserinnerungen" echt sind, in deren therapeutischem Potential: Sie können heilen. Tatsächlich klingen bei Zurückgeführten, die sich jahrelang mit chronischen Leiden quälten und aus schulmedizinischer Sicht bereits als behandlungsresistent galten, oft selbst schwerste Symptome geradezu schlagartig ab, sobald ihre ”karmischen” Wurzeln rückschauend aufgedeckt, nachempfunden und bewusst verarbeitet werden. So verschwinden irrationale Ängste und
Schuldgefühle, Phobien und chronische Schmerzen, Depressionen und Fixierungen, Allergien und Übergewicht, Epilepsie und Alkoholismus, Impotenz und Frigidität. Auch Mythen können heilen, wie Psychotherapiekritiker schon zu Freuds Zeiten betont haben. Aber können sie es derart häufig, rasch und tiefgreifend? Anmerkungen 1 EMNID-Tabellenband: Was glauben die Deutschen? (1997) 2 Dies ermittelten Meinungsforscher des Luzerner Link-Instituts zwischen Januar und März 1999 in einer Repräsentativumfrage unter 1549 Eidgenossen. Auftraggeber war das Institut für Sozialethik des Schweizerischen Evangelischen Kirchenverbandes. |