Im Juni 1998 erreichte mich ein Hilferuf der Heilpraktikerin Dagmar
Fierek (Pseudonym) aus Eching, Bayern. Sechzehn Jahre lang war sie religiöse Schülerin eines tibetisch-buddhistischen Lamas gewesen, der in der Schweiz ein klösterliches Institut leitete. Von ihm wandte sie sich 1989 ab, abgestoßen von geheuchelter Demut und bestärkt durch die Begegnung mit dem namhaften Qi-Gong-Meister Z. aus China, der in Reutlingen gerade eine Praxis aufbaute. (Diesen Mann hatte ich auf einem Kongress persönlich kennen und schätzen gelernt, deshalb machte mich Frau Fiereks
Brief besonders betroffen.) Bald darauf, im März 1990, erkrankte Dagmar Fierek erstmals in ihrem Leben körperlich schwer: "Rapide verlor ich an Gewicht und Energie. Mein blondes Haar verfärbte sich. Ich hatte die grauenhaftesten körperlichen Symptome, verlor Blut und Harn, hatte unerträgliche Schmerzen und dachte, ich würde sterben. Dieser Zustand hielt volle fünf Wochen an." Seither wiederholt er sich zwei- bis dreimal jährlich, wobei er jeweils fünf Wochen bis vier Monate
anhält - sonderbarerweise nicht nur bei ihr, sondern auch bei ihrem neuen Lehrer Z. Kurz nach dem ersten derartigen Kollaps meldete sich der Lama sowohl bei Dagmar Fierek als auch bei Z. - und verlangte "Schutzgeld", damit die schwarzmagischen Angriffe aufhören, die mutmaßlich von ihm selbst ausgingen. Während die damals nahezu mittellose Frau nur 250 DM erübrigen konnte, soll der Lama von dem wohlhabenden Z., einem der gefragtesten Qi-Gong-Experten Deutschlands, über 50’000
DM erpresst haben. "Vor einigen Tagen", so berichtete mir die Heilpraktikerin weiter, "erhielt ich von Z. eine kurze Nachricht: Er liege in einem Sindelfinger Krankenhaus, habe schwere organische Schäden und sei körperlich vollkommen ruiniert. Er meinte sogar, er habe keine Aussichten mehr zu überleben." Bei Z. ´s Frau seien, ebenfalls wie aus heiterem Himmel, ähnliche Symptome aufgetreten. In allen Fällen seien hinzugezogene Mediziner vor völligen Rätseln gestanden, was
Ursachen und Therapiemöglichkeiten betraf.
Von schwarzmagischen Wölfen im Schafspelz des Therapeuten wähnen sich mitunter auch Geistheiler verfolgt. “Seit zwei Jahren und vier Monaten” sei sie außerstande zu heilen, so vertraute sich mir Anneliese T. aus Dresden im April 2000 an. Schuld daran seien unentwegte “Angriffe” zweier zwielichtiger Standeskollegen, die sie aufs Widerwärtigste “traktieren”: Geisterhaft “gehen diese Bestien immer wieder
in meinen Hals mit ihrem Penis.” Als hochsensitives Medium leide sie ganz besonders darunter.
Solche unheimlichen Erlebnisse scheinen düsterste Befürchtungen zu bestätigen, die unter Patienten erstaunlich weit verbreitet sind: Demnach wirken Heiler nicht nur segensreich, sondern richten auch Schaden an, sofern sie es darauf anlegen; denn könnten die Kräfte, derer sie sich anscheinend bedienen, nicht auch missbraucht werden? Steckt in geistigem Heilen also ein spezifisches
Gefahrenpotential, das über die üblichen Risiken anderer Therapien hinausgeht? Drohen nicht nur finanzielle Ausbeutung, psychische Abhängigkeit und Anstiftungen dazu, ärztliche Maßnahmen zu unterlassen - sondern magische Verfolgungen, Hexerei?
Diese Frage zählt zu den meistgestellten, die mir Anrufer und Briefeschreiber zutragen, solange sie noch unschlüssig sind, ob sie sich auf Geistiges Heilen einlassen sollen. Dass sie Hilfesuchende immer häufiger beschäftigt, entspricht dem wieder zunehmenden Glauben an Hexerei: Während 1956 nur ein Prozent der westdeutschen Bevölkerung auf die Frage, ob "vielleicht doch etwas dran ist, dass es vielleicht Hexen gibt", mit "Ja, bestimmt" und sieben Prozent mit "Vielleicht" antworteten, waren es 1989 bereits drei bzw. 13 Prozent. Zwei Jahre später waren bereits 18 Prozent "der Überzeugung, dass es heute noch Hexen gibt"; 14 Prozent gaben an, "an die Wirkung magischer Rituale zu glauben".
Steckt hinter den Schreckensberichten von "schwarzmagisch" Verfolgten bloß eine psychosomatische Reaktion, die das Gegenstück zum Placebo-Effekt bildet: ein "Nocebo-Effekt" (von lat. nocere:
schaden)? Wie reagieren Versuchspersonen, denen ein Scheinmedikament ohne pharmakologische Inhaltsstoffe verabreicht wird - zum Beispiel eine Zuckerpille oder eine Spritze, die bloß harmlose Kochsalzlösung enthält -, während sie im Glauben gelassen werden, sie bekämen eine echte Arznei? Manche trauen dem Präparat schädliche (Neben-)Wirkungen zu - und entwickeln Symptome, die verblüffend exakt zu dieser Erwartung passen. In einer placebokontrollierten Studie über Chemotherapie bei Magenkrebs
trat bei jedem dritten Patienten starker Brechreiz auf, nachdem er ein Placebo erhalten hatte; jeder Fünfte musste sich übergeben, und bei nahezu jedem Dritten war Haarausfall festzustellen. In einer anderen Studie wurde Patienten weisgemacht, sie erhielten das Antibiotikum Streptomycin, obwohl sie in Wahrheit nur Placebos schluckten; dennoch traten streptomycin-typische Nebenwirkungen auf, unter anderem Hörverlust bei hohen und niederen Tönen. In einem weiteren Experiment brach ein Patient,
nachdem er ein Placebo geschluckt hatte, mit einem anaphylaktischen Schock zusammen, verbunden mit Übelkeit, einem rapiden Absinken des Blutdrucks und feuchtkalter, bleicher Haut.16 Häufig schon sind Patienten von Placebos sogar süchtig geworden; im Laufe von nur einem Jahr nahm einer von ihnen rund 10.000 Placebo-Pillen ein.
Eine heftige Placebo-Reaktion lag vermutlich auch einem rätselhaften Fall zugrunde, mit dem ich im Laufe des "Fernheil-Tests" zu tun bekam, bei dem ich 1998/99 über 50 Geistheiler aus sieben europäischen Ländern 290 "austherapierte" chronisch Kranke mit verschiedenen Varianten des "Fernheilens" behandeln ließ. Wer der "Amulettgruppe" zugelost worden war, erhielt zu Beginn des fünfmonatigen Testzeitraums ein
Objekt, das ein Geistheiler vermeintlich "mit heilender Energie aufgeladen" hatte. Dazu gehörte auch Doris L., eine 24jährige Studentin aus dem niederbayerischen Altenstadt, die seit 1977 an schwerstem Asthma bronchiale litt. Kaum begann sie das Amulett anzuwenden, da verschlimmerten sich Atemnot und Hustenreiz dramatisch. Zunächst sah sie sich gezwungen, stärkere Kortisonpräparate in steigender Dosis einzunehmen. Als selbst das nichts half, beschloss sie in der elften Testwoche, das Amulett abzulegen. "Seitdem besserten sich meine Atembeschwerden kontinuierlich, und ich konnte endlich wieder die ganze Nacht durchschlafen". Dass sie eine mögliche Furcht vor der unheimlichen Magie des Amuletts belastet haben könnte, bestreitet die junge Frau zwar. Doch unterbewusst mögen solche Ängste doch am Werk gewesen sein, zumal bei einer Erkrankung, die häufig so ausgeprägte psychogene Anteile aufweist wie Asthma.
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