Kommt da nicht jeder ins Grübeln, für den bisher unerschütterlich feststand, dass es vor allem außergewöhnliche Kräfte des Heilers sind, die Geistheilungen gelingen lassen? Lehrt uns die Placebo-Forschung nicht, dass es wohl doch pure Einbildung des Patienten ist, die ihn heilt,
wenn er sich Geistheilern anvertraut? Ist Heilen auf Distanz also am Ende doch bloß Scharlatanerie, geschickte Suggestion, ein raffiniertes Spiel mit der fast grenzenlosen Gutgläubigkeit von verzweifelten Kranken? "Glaube versetzt Zwerge - in Euphorie", hörte ich einen Arzt einmal voller Häme das Bibelwort abwandeln.
In welch hohem Maße Placebo-Effekte bei Geistheilungen mitspielen können, belegt unter anderem ein Experiment des niederländischen Parapsychologen Johannes
Attevelt von der Universität Utrecht. Fünfzehn Sitzungen lang, in wöchentlichem Abstand, ließ er achtzig Bluthochdruck-Patienten jeweils zwanzig Minuten lang hinter einer undurchsichtigen Abschirmung Platz nehmen. Der Hälfte von ihnen saß währenddessen einer von zwölf Geistheilern gegenüber, die von niederländischen Heilerverbänden empfohlen und vermittelt worden waren. Die andere Hälfte blieb unbehandelt, ohne dies zu wissen. Bei beiden Gruppen waren die Gegebenheiten im wesentlichen die
gleichen, insbesondere was den Durchschnitt ihrer Blutdruckwerte, ihres Medikamentenverbrauchs und ihrer Ernährungsgewohnheiten betraf. Nach Ablauf des Versuchs erklärten 43 Prozent der tatsächlich Fernbehandelten, es gehe ihnen deutlich besser - aber auch 41 Prozent der Kontrollgruppe. In beiden Gruppen war der mittlere Blutdruck gleich stark gesunken, wie Messungen belegten. Ebenso enttäuschend ging ein ähnlich angelegter Test aus, bei dem Attevelt sechs prominente Heiler der Niederlande
auf 96 Asthma-Kranke ansetzte.
Auch der Eindruck mancher Patienten, eine Geistheilung habe ihnen geschadet, könnte vom Placebo-Effekt herrühren. Denn auch bei klinischen Versuchen, in denen Zuckerpillen und andere Scheinarzneien verabreicht werden, klagen zehn bis vierzig Prozent der so “Behandelten” über Nebenwirkungen. Sie reichen von Benommenheit, Müdigkeit und Appetitlosigkeit über Mundtrockenheit und Übelkeit bis hin zu Schweißausbrüchen und Sehstörungen.
Wer
will es der Ärzteschaft verdenken, wenn sie aus solchen Studien nach wie vor die gleichen Schlüsse zieht wie Rehder Mitte der fünfziger Jahre - oder schon 1917 eine von der niederländischen Regierung eingesetzte Untersuchungskommission? Deren zwölf Mitglieder, allesamt praktizierende Ärzte, hatten 96 ihrer Patienten dafür ausgewählt, von bekannten Geistheilern behandelt zu werden. Zwar anerkannte die Kommission, dass bei einem Großteil der Testpersonen eine deutliche Besserung des
Allgemeinbefindens eintrat, bei einem kleinen Teil sogar organische Störungen nachließen oder verschwanden. Doch führte sie diese Effekte ausnahmslos auf "Suggestion" zurück - und empfahl der Regierung deshalb, am gesetzlichen Verbot Geistigen Heilens festzuhalten. (Erst seit 1993 darf in den Niederlanden "paranormales Heilen" legal auch von medizinischen Laien angewandt werden.)
Verabreichen Geistheiler also lediglich Placebos - Scheinmedikamente, die bloß
wirken, weil Hilfesuchende zuversichtlich an ihre Wirkung glauben? Folgt daraus, dass sich Patienten gar nicht erst darauf einlassen sollten, falls sie noch die geringsten Zweifel plagen? Immer weniger Schulmediziner bestreiten rundweg, dass Geistiges Heilen Erfolge erzielt. Doch mit paranormalen Erklärungen dieser Erfolge - etwa durch eine "höhere", physikalisch noch unfassbare Art von Energie, die zwischen Heilern und Patienten angeblich fließt - können nach wie vor die
wenigsten etwas anfangen. Im Prinzip, so heißt es, verabreichen Geistheiler nichts weiter als Placebos: Scheinmedikamente ohne therapeutisches Agens - vergleichbar einer Zuckerpille oder einer Spritze, die nur Kochsalzlösung enthält -, die bloß wirken, solange der Patient von ihrer Wirkung überzeugt ist.
Fünfzehnmal Sand in die Gebetsmühle
Kein Einwand ist häufiger zu hören, wenn Schulmediziner geistige
Heilerfolge wegzuerklären versuchen. Und kaum einer ist dürftiger begründet. Dieses "Placebo-Argument" ist ein Ärgernis - nicht, weil es Verfechter Geistigen Heilens in Verlegenheit bringt, sondern weil es bis heute von Kritikern immer und immer wieder gebetsmühlenhaft wiederholt wird, obwohl es seit eh und je den springenden Punkt verfehlt. Das "Placebo-Argument" ist ein miserables Argument, aus mindestens einem Dutzend Gründen, von denen man immer ein paar parat haben
sollte, wenn man mit Skeptikern ins Gespräch kommt:
1 Dass eine starke Heilungserwartung den Heilerfolg wahrscheinlicher macht, muss Geistheilern nicht erst vom hohen akademischen Ross herab beigebracht werden - den allermeisten ist dies vollauf bewusst, sie rechnen damit und bemühen sich im Interesse ihrer Klienten, derartige Erwartungen zu schüren. Als in den achtziger Jahren 221 von ihnen gefragt wurden,
worauf sie ihre Erfolge zurückführen, nannte immerhin jeder Dritte "den Glauben des Patienten" als Hauptursache (36 Prozent) und jeder Vierte "Suggestion" (27 Prozent). In einer 1994 durchgeführten Studie der Universitäten Freiburg und Bonn erklärten von 449 befragten Geistheilern in Deutschland 52 Prozent, der "Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung" sei für den Behandlungserfolg "notwendig"; weitere 39 Prozent erachteten dies zumindest für
"sinnvoll", nur vier Prozent für "unwichtig". Solches Vertrauen schließt natürlich insbesondere die Erwartung ein, der Heiler werde dem Leiden beikommen, wie auch immer. Auch in meinem "Fernheil-Test" von 1998 zeigte sich ein deutlicher statistischer Zusammenhang zwischen der Erwartung der
Versuchspersonen, geheilt zu werden, und den beobachteten therapeutischen Effekten. Die heilsame Wirkung des bloßen Glaubens an Heilung haben die meisten Heiler schon wiederholt in ihrer Praxis erlebt, ohne ein Geheimnis daraus zu machen. Freimütig schildert etwa der amerikanische Psychologe und Heiler Lawrence Le Shan einen "besonders dramatischen Einzelfall, bei dem ein Bekannter mich um eine Fernbehandlung bat, wegen eines äußerst schmerzhaften Leidens, das eine sofortige
schwerwiegende Operation erforderte. Ich versprach ihm, mich noch in derselben Nacht um ihn zu kümmern. Als er am nächsten Morgen aufwachte, war eine ‚Wunderheilung' eingetreten. Der behandelnde Arzt war verblüfft, bot mir Röntgenbilder vor und nach der Fernbehandlung an und wollte eine Veröffentlichung in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift sponsern. Es wäre das Heilwunder des Jahrhunderts geworden - wenn da nicht ein kleines Detail gewesen wäre. Weil ich völlig überarbeitet war,
hatte ich ganz vergessen, die Fernbehandlung vorzunehmen!" |