Welche verkannten Nebenwirkungen Geistiges Heilen auch immer zeitigen mag: Wie verschwindend gering nehmen sie sich im Vergleich zu dem immensen Schaden aus, den unerfahrene, nachlässige oder überforderte Ärzte tagtäglich anrichten! Allein 1996 forderten 30.000 Bundesbürger Schadensersatz wegen ärztlicher Kunstfehler; die Dunkelziffer von Geschädigten, die sich Ansprüche erst gar nicht juristisch geltend zu machen trauen, liegt um ein Vielfaches höher. Dabei geht jeder vierte Pfusch tödlich aus. Vor neun Jahren reichten den ärztlichen Haftpflichtversicherungen noch 167 Millionen Mark aus, um "iatrogene", also vom Arzt verschuldete Behandlungsfehler abzugleichen; die aktuelle Zahl liegt weit jenseits der 500-Millionen-Grenze. Jedem zehnten Arzt, so die neuesten Schätzungen, unterläuft pro Jahr mindestens ein grober Schnitzer. Hinzu kommen die oftmals verheerenden Nebenwirkungen der über 75’000 auf dem Markt befindlichen Arzneimittel: Allein in der Bundesrepublik leben 800’000 Medikamentensüchtige. Auf die Einnahme von Pharmazeutika führt der Bundesverband der AOK 30’000 Todesfälle pro Jahr in Deutschland zurück. Jedes vierte behandlungsbedürftige organische Leiden und sechs Prozent aller Erkrankungen mit Todesfolge rühren vermutlich von Arzneimittel-Nebenwirkungen her. Der Schaden für die Volksgesundheit, der auf das Konto des medizinisch-industriellen Komplexes geht, steht prozentual in keinem Verhältnis zu jenen paar gerichtsnotorischen Fällen pro Jahr, in denen ein Geistheiler einen Hilfesuchenden erwiesenermaßen gefährdete.
Das Gemunkel um die von Geistheilern ausgehenden Gefahren für den "Volkskörper" strotzt deswegen vor Verlogenheit. Kein Gesundheitspolitiker denkt im Traum daran, den Bürgern das Alkoholtrinken oder das Rauchen, das Skifahren oder das Drachenfliegen zu verbieten, wie sehr deren körperliche Unversehrtheit dadurch auch gefährdet sein mag. Die aufgelegten, zum Bittgebet gefalteten Hände des Heilers, der weder eine Approbation noch einen Heilpraktikerschein vorweisen kann, werden dagegen kriminalisiert, als handle es sich um eine besonders raffinierte Foltermethode, vor der ahnungslose Patienten staatlich geschützt werden müssen. Dabei ist jede Schachtel Tabakwaren gefährlicher, als es die geballte Energie von tausend Reiki-Meistern jemals sein kann.
Von daher wird verständlich, warum englische Versicherungen Geistheilern seit längerem anbieten, ihr Haftungsrisiko für den symbolischen Jahresbeitrag von einem britischen Pfund abzusichern - während Anästhesisten und Chirurgen, Orthopäden und Gynäkologen hierzulande fünfstellige Beiträge leisten müssen, um vor den Folgen von Kunstfehlern geschützt zu sein. Der Arzt, der den Geistheiler zum "Gesundheitsrisiko" stempelt, erinnert insofern an den Elefanten, der sich nach dem sprichwörtlichen Rundgang durch den Porzellanladen dafür ausspricht, ein gesetzliches Landeverbot für Mücken zu verhängen - da von der Wucht des Aufpralls zumindest eine abstrakte Gefahr für zerbrechliche Gegenstände ausgehe. Mit diesem Gefahrenpotential sollten Hilfesuchende sorgenfrei leben können.
Schattenseiten
Können Geistheiler auch krank machen?
Mit ihrer Stuttgarter Heilerin war Christel S. aus Bad Kreuznach eigentlich stets hochzufrieden gewesen. Seit Frühjahr 1993 hatte sich die Patientin wegen einer Formaldehyd-Allergie teils die Hände auflegen, teils "fernbehandeln" lassen. Doch trotz dieser ständigen Betreuung entwickelten sich
rheumatische Symptome: "Im Juni 1996", berichtet Christel S., "fiel mir erstmals die degenerative Veränderung der Zehen auf." Ein Arzt diagnostizierte eine beginnende Arthrose.
Von diesem Moment an schlug das Vertrauen der Patientin in Argwohn um: Könnte die Heilerin die Ursache sein? Nach und
nach entwickelte Christel S. eine dazu passende Theorie, die ihr immer plausibler vorkam: Bis Mitte 1996 habe die Heilerin über eine "hochwertige Strahlungskraft" verfügt. Doch dann starb ihr Mann, der in den anderthalb Jahren zuvor, nach einem Schlaganfall, bereits ein hundertprozentiger Pflegefall gewesen war. Seit diesem Schicksalsschlag, vermutete Christel S., "sank das Strahlungspotential stark ab, unter fünfzig bis sechzig Prozent", und die Heilerin war nicht mehr
imstande, es wieder "aufzubauen", so dass "der Strahlungseinfluss einschränkend und belastend" wurde. Daraufhin bat die Patientin, weitere Bemühungen unverzüglich einzustellen. Doch die Heilerin macht unverdrossen weiter, wie die Patientin "wegen meiner "Sensitivität" deutlich "gespürt" haben will: "Täglich zwischen 22 Uhr und sechs Uhr morgens bekomme ich zwei bis vier Stunden Strahlung", was die Heilerin jede weitere Fernbehandlung
bestritt - was auch sonst?
Leidet Christel S. schlicht unter Verfolgungswahn? Oder ist es tatsächlich denkbar, dass Geistheiler einen Patienten, gegen dessen Willen, mit ihren Kräften regelrecht verfolgen und krankmachen können, sofern sie es darauf anlegen? "Viele von denen betreiben weiße und schwarze Magie", versuchte mich Wilma B. aus Unterseen, selbst "Opfer eines Geistheilers", in einem Leserbrief an eine Frauenzeitschrift aufzuklären, die mich zu geistigem
Heilen interviewt hatte. "Beides kommt aus derselben Quelle. Das kann für den Patienten schwere Folgen haben, ich sage das aus eigener sehr negativer Erfahrung. Mein Körper wurde nicht gesund, ganz im Gegenteil."
Die Befürchtung, böswillige Heiler könnten unsereinem etwas Schlimmes "anhexen", ist unter Hilfesuchenden durchaus verbreitet. Eine Münchnerin, die mir, anonym, seitenlang über sexuelle Zudringlichkeiten ihres Heilers berichtete, wollte unter gar keinen
Umständen, dass ich den Beschuldigten zur Rede stelle: "Der tut mir vielleicht noch etwas an, Entfernung spielt für solche Leute ja keine Rolle."
Auch manche Geistheiler weisen warnend auf diese vermeintliche Gefahr hin. So ist Willi K. aus Essen “von zwei Personen berichtet worden, die durch Puppenzauber einen Menschen umgebracht haben”. Faruk D., Diplom-Ingenieur und nebenbei ein ebenso erfahrener wie vielgelobter Heiler aus Köln, warnt vor
“Millionen von feinstofflichen Wesen”, die in jeden geistigen Heilprozess hineinwirken, auch ohne Wissen der Beteiligten. Diese Wesen “können in einem einzigen Punkt Platz finden. Der menschliche Körper ist für sie praktisch wie ein großer Planet und bewohnbar. Sie formen ihn um, wie sie lustig sind, züchten Krankheiten, ... können sie gesundheitlich lahmlegen.”
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