Als Vorläufer Wicklands und seiner Nachfolger gelten die «Rescue Circles» («Rettungskreise»), die Ende des 19. Jahrhunderts im angelsächsischen Raum zu Hunderten entstanden. Diese spiritistischen Zirkel sahen ihre Aufgabe darin, erdgebundene Totengeister, die Lebende belästigen oder gar besetzen, zu «erwecken» und zu «befreien». Einmal «aufgeklärt», würden die Geister ihre wahre Lage begreifen, sich von der materiellen Ebene und damit auch von einem in Besitz genommenen
menschlichen Körper lösen, um zu höheren Sphären aufzusteigen. Am bekanntesten wurde zwischen 1875 und igoo ein «Rescue Circle» in Baltimore, dem zwei der damals berühmtesten Medien Amerikas angehörten, Marcia Swain und die Musikprofessorin Leander Fisher. Dieser Kreis bemühte sich anfangs auch, die Identität der Totengeister zu verifizieren, indem sie aufwendige historische Nachforschungen anstellten.
Besonders in Großbritannien verfolgen zahlreiche Exorzisten bis heute solche
Strategien. Ihr Hauptziel gilt der Seelsorge an Verstorbenen im medialen Dialog: eine Vorstellung, die manch konservativem Theologen die Haare zu Berge stehen lässt. Dasselbe Anliegen verfolgt in Deutschland ein spiritistischer Zirkel, dem der Physiker und Parapsychologe Werner Schiebeler angehörte. Er wendet sich an «Geistwesen, die sich im Jenseits noch nicht zurechtfinden können oder ihren Tod noch gar nicht zur Kenntnis genommen haben». Über anwesende Medien «sollen die Wesenheiten auf
ihre Lage und die Welt Gottes aufmerksam gemacht werden, um sie zu veranlassen, sich für eine Weiterentwicklung zu öffnen».
Stärker an kirchliche Rituale lehnt sich dagegen jene Form des «ärztlichen Exorzismus» an, die Dr. Naegeli-Osjord bevorzugte. Dabei «verwende ich auch als Nichtkatholik Weihwasser und zünde eine geweihte Kerze an», erklärte er. Der Patient sitzt dabei bequem in einem Sessel. Nach einigen Minuten der inneren Sammlung hat er «mit besonderer Hingabe» das Vaterunser
zu sprechen. «Dann halte ich beide Hände über den Kopf und umfahre ihn auch seitlich, immer im Abstand von einigen Zentimetern.» Aus den Spitzen seiner Mittelfinger ließ Naegeli dann «biomagnetische Ausstrahlung» in die Chakras des Patienten «fließen». Dabei sprach er eine Gebetsformel: «Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes gebe ich dir den Schutzmantel gegen alle unguten Mächte und Kräfte... Ich gebe dir die Kraft, wieder du selbst zu sein und die dir von Gott gegebenen
Ziele zu verwirklichen.» Darauf folgt «die eigentliche Austreibung»: «Jetzt befehle ich euch, verschwindet, weicht, fahrt ab ... » Naegelis rechte Hand schlug dabei dreimal das Kreuzzeichen über dem Kopf des Besessenen. Dann führten beide Hände «die Geste des Ausfließens aus dem Kopf nach allen Seiten» aus.
Während die Widersacher, gegen die Naegeli und die meisten spiritistischen Austreiber ankämpfen, Wesensmerkmale von Personen aufweisen, rechnen die meisten Exorzisten in der
esoterischen Therapieszene, teilweise aber auch schon Ärzte und Psychotherapeuten ebenso mit unpersönlichen Energien, die Menschen «besetzen» und schwer belasten, ja auf Dauer krank machen können. Manfred Himmel etwa, Leiter der «Deutschen Spiritualistischen Lehr- und Forschungsgesellschaft» in Detmold, nimmt energetische Verunreinigungen ernst, die von schwarzmagischen Praktiken, böswilligen Gedanken oder gestörten Psychen von Mitmenschen ausgehen können; dadurch könne Betroffenen
«Lebenskraft» regelrecht «abgesaugt» werden - ein Phänomen, das Himmel «Od-Vampirismus» nennt. (Den Begriff Od hatte 1852 der deutsche Chemiker und Naturphilosoph Carl Ludwig Freiherr von Reichenbach eingeführt, zur Bezeichnung einer alles durchdringenden Lebenskraft, dem Qi oder Prana vergleichbar.)
Gegen spirituelle Verunreinigungen geht auch der Frankfurter Diplom-Psychologe Andreas H. vor: Mit einem «Clearing» (Reinigung) genannten Verfahren, das auf die Amerikanerin Rhea Powers zurückgeht, behandelt er Klienten in seiner Praxis gelegentlich vor, ehe er sie herkömmlich psychotherapiert.' Und auch die Züricher Psychiaterin Dr. Anne G. zählt zu «Fremdenergien» nicht nur «Seelen verstorbener Menschen» sowie «dunkle Wesen aus der geistigen Welt (Dämonen)», sondern auch «Gedankenformen (Elementale), aus dem Universum wirkende Grundenergien und Energiewolken». Kommt sie zu dem Schluss, dass solche Fremdenergien auf einen Patienten störend einwirken, so tritt ein Medium in Aktion: der pensionierte Flugkapitän Alfred Z. In einem Prozess, den Dr. G. «Energie-Transformation» nennt, «übernimmt» er in Trance die Fremdenergien, die von der Ärztin dann «so behandelt werden, dass sie keine Wirkung mehr auf die betroffenen Menschen... haben»"'.
Im Unterschied zu den kirchlichen Austreibern, die ihre ganze Aufmerksamkeit dem Kampf gegen den Täter widmen, befassen sich Naegeli und G., ebenso wie H., mindestens ebensosehr mit dem Opfer - mit dem Ziel, es psychisch zu stärken. Kirchliche Besessenheitstheorien richten hier vielfach immen¬sen Schaden an: Denn indem ein Kranker als «dämonisch» besessen etikettiert wird, scheint er einer übermächtigen Bedrohung gegenüberzustehen, der er wehrlos ausgeliefert ist. (Wer wollte es schon mit dem Teufel aufnehmen?) Und dieses Gefühl der Ohnmacht schwächt selbstverständlich seine Abwehrkräfte. Ein Exorzist wie Himmel hingegen setzt psychologisch an: Nicht er sei imstande, Fremdenergien zu bannen - der Patient allein könne sie abwehren. Dazu muss dieser vor allem seine Angst loswerden. «Durch panische Angst verliert ein Mensch ständig mehr Lebensenergie», erklärt Himmel. «Diese Energie fließt dem Geistwesen zu - es saugt sie auf wie ein Vampir und wird damit immer stärker.» Um einen anhaltenden Schutz auszubauen, «muss der Mensch seinen Willen und sein Ich-Bewusstsein stärken, Körper und Seele stabilisieren»`. Was Himmel an magischem. Zeremoniell einsetzt, dient nur als Hilfsmittel, solche Veränderungen im Patienten einzuleiten.
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