Morbus Crohn - eine Darmkrankheit als Martyrium: grauenvolle Krämpfe im Unterleib, ständiger Durchfall, tastbare Knoten im Bauch, Fieberschübe, starker Gewichtsverlust, Fisteln und ödematöse Schwellungen im Analbereich. Die 54jährige Petra Sebert (Pseudonym) aus Meschede litt daran. Sechzehn Jahre lang. Dreimal wurden ihr Teile des Duckdarms herausoperiert. Heute ist sie geheilt, wie ihre Ärzte bestätigen.
Seinen Ausgang nahm das "Wunder" vor zehn
Jahren, als sich Petra Sebert von einer Freundin in eine "Gröning-Gemeinschaft" mitnehmen ließ: eine von über 500 im "Bruno-Gröning-Freundeskreis" organisierten örtlichen
Heilgruppen, bei deren regelmäßigen Zusammenkünften "der göttliche Heilstrom aufgenommen" wird, getreu der Lehre Bruno Grönings (1906-1959), des gefeiertsten, aber auch angefeindetsten Geistheilers der fünfziger Jahre. "Die spinnen ja", dachte sie anfangs. Denn "die sitzen einfach andächtig da, oft stundenlang, und lassen ein zusammengeknülltes Stück Stanniolpapier reihum gehen", einen "Verstärker für himmlische Strahlung", wie ihn Gröning einst
Anhängern mitgab. Ihre Hände liegen auf dem Schoß, die Innenflächen nach oben gedreht - empfangsbereit, als wollten sie Sterntaler auffangen. Damit der Heilstrom ungehindert fließen kann, darf niemand Arme oder Beine verschränken. Mit geschlossenen Augen warten sie. Zwischendurch zucken manche plötzlich zusammen, als ginge ein Stromstoß durch sie hindurch. "Ich war äußerst skeptisch", gibt Petra Sebert zu. "Allerdings spürte ich so ein merkwürdiges Kribbeln am ganzen Körper. Am
nächsten Tag hatte ich keinen Durchfall mehr - zum erstenmal seit sechzehn Jahren. Vier Monate später konnte ich sämtliche Medikamente absetzen. Bis heute."
Die meisten Patienten, die sich auf Geistiges Heilen einlassen möchten, denken zunächst an Einzelbehandlungen. Doch belegen verblüffende Genesungen wie die von Petra Sebert nicht, dass in Gruppen ein mindestens ebenso hohes Heilungspotential steckt, wenn nicht gar ein größeres? Unter Deutschlands Geistheilern führt mindestens jeder Zwanzigste, so schätze ich aufgrund eigener Umfragen, Patienten regelmäßig in Heilgruppen zusammen. Lassen sich Krankheiten womöglich gemeinsam eher besiegen als allein?
Einst war alles Geistheilen Gruppenheilen
Ursprünglich war alles Heilen Gruppenheilen: Während der magischen Riten, die ein Schamane an Kranken vollzog, war die Anwesenheit der Stammesgemeinschaft Pflicht; und die Gesänge, Trommelschläge und Tänze, mit denen sie sein wundersames Tun begleitete, entschieden mit über den Behandlungserfolg, desgleichen ihre ekstatische Hingabe. In der dritten Welt überwiegt diese Form
Geistigen Heilens bis heute: im Kimbanguismus Zentralafrikas, im haitianischen Voodoo oder bei den Candomblés, Macumbas und Umbandas Brasiliens ebenso wie in christlichen Missionskirchen und Pfingstgemeinden.
Auch die ersten Christen vertrauten darauf, getreu der Botschaft ihres Herrn. "Wenn zwei von euch auf der Erde gemeinsam um irgend etwas bitten, wird es ihnen von meinem Vater im Himmel gegeben werden", hatte Jesus Christus gelehrt (Matthäus 18, 19-20). "Denn wo
zwei oder drei in meinem Namen zusammenkommen, da bin ich selbst in ihrer Mitte." Gruppenheilungen waren im frühen Christentum fester Bestandteil des Gottesdienstes. Ihr Erfolg sollte eindrücklich Zeugnis ablegen für die Gegenwart des himmlischen Vaters und die grenzenlose Kraft unbedingten Glaubens. Daran knüpfte zu Beginn unseres Jahrhunderts die Pfingstbewegung an, die heute weltweit über 150 Millionen Mitglieder zählen soll. Auch die mächtige Bewegung der "Charismatischen
Erneuerung", die innerhalb der traditionellen Kirchen Anfang der sechziger Jahre entstand, hat Krankenheilungen in Gegenwart von Gläubigen wieder zu einem Schwerpunkt der Gemeindearbeit gemacht. Regelmäßige "Heilgottesdienste" finden inzwischen auch in zahlreichen deutschen Kirchen statt. In ihrem Rahmen soll es immer wieder zu dramatischen Heilungen kommen. Die wortgewaltigen Leitfiguren dieser Bewegung, allen voran der kalifornische Pastor John Wimber, füllen mit
spektakulären "Massenheilungen" ganze Stadthallen, Konzertsäle und Sportstadien. Wachsenden Zulauf haben auch christliche "Gebetsheilkreise", die regelmäßig in Privatwohnungen zusammenkommen, um für an- oder abwesende Kranke Gottes Hilfe zu erbitten; allein im deutschsprachigen Raum bestehen inzwischen mehrere tausend.
Mit dem Versprechen, selbst scheinbar auswegloses Leid in gemeinsamer Glaubensanstrengung zu besiegen, wird auch außerhalb der Kirchen zugkräftig
geworben. Gruppenheilung bieten die meisten religiös-esoterischen Sekten an. Uriella, selbsternanntes "Sprachrohr Gottes", lockt damit Leidende zu "Fiat Lux"; Gabriele Wittek, die "Prophetin der Jetztzeit", ködert damit Mitglieder für ihr "Universelles Leben". Dem "Bruno-Gröning-Freundeskreis" hat dieselbe verlockende Aussicht weltweit inzwischen rund 40.000 Mitglieder zugetrieben, davon zwei Drittel im deutschsprachigen Raum. Unter den
500’000 Westdeutschen, die nach einer Studie des Zürcher Sozialpsychologen Gerhard Schmittchen außerkirchlichen Religionsgemeinschaften angehören, bilden Patienten eine beachtliche Minderheit. Daß ihre Hoffnungen stets enttäuscht werden, wird ernsthaft niemand unterstellen. Gruppenheilung wirkt, keine Frage. Bloß: Wie wirkt sie?
Wie wirkt Gruppenheilung?
Die meisten Anbieter, und nahezu sämtliche
beteiligten Patienten, betonen ausschließlich den esoterisch-religiösen Aspekt: die gemeinsame Aufnahme, Verstärkung und Weitergabe von "kosmischen" Energien. Ein kürzlich erschienener "Leitfaden" definiert Gruppenheilung geradezu als jene Form der Heilung, "bei der die Kraft gleichzeitig durch mehrere Menschen ‚gechannelt' wird". Übersehen wird dabei, dass Heilgruppen, wie jegliche Zusammenkunft von Menschen, immer auch soziale Ereignisse schaffen, die alle
Beteiligten psychisch beeinflussen. Sie können Verständnis, Wärme und Nähe bieten; Mut machen; unfreiwillige Zurückgezogenheit, quälende Einsamkeit beenden; aufmerksame Gesprächspartner und mitfühlende Leidensgefährten vermitteln, manchmal auch echte Freunde und bewundernswerte Vorbilder für die Bewältigung der eigenen Krankheit; neue Ziele und Wege aufzeigen; den Glauben daran wecken und bestärken, dass das vermeintlich Unabwendbare am Ende doch zu besiegen sei; Chancen eröffnen, sich
gegenseitig zu stützen, Krisen gemeinsam durchzustehen. Könnten allein solche Hilfestellungen bisweilen nicht ausreichen, um unerwartete Selbstheilungsprozesse in Gang zu setzen? Nach meinem Eindruck beruht der unbestreitbare Erfolg von Heilgruppen im allgemeinen nur zu einem geringen Teil auf "höheren" Einflüssen. Den Ausschlag geben in der Regel durchaus diesseitige Faktoren: nämlich seelische Veränderungen.
Trotzdem darf ein "energetischer" Faktor nicht pauschal
in Abrede gestellt werden. Wissenschaftlich überzeugend zeigt er sich vor allem dann, wenn der Patient, auf den die Gruppe ihre Heilintention richtet, an ihrer Zusammenkunft weder teilnimmt noch davon überhaupt weiß. Placebo-Effekte, Suggestion und Autosuggestion scheiden dann als Erklärung aus. Allein Mediziner des Gröning-Freundeskreises haben Dutzende solcher Fälle geprüft, für überzeugend befunden und sauber dokumentiert. Gestützt werden solche Einzelbeobachtungen inzwischen durch etliche experimentelle "Blind"-Tests über Effekte von Heilgruppen, unter bei leukämiekranken Kindern, Patienten mit rheumatoider Arthritis und koronar Herzkranken.
In über einem Jahrhundert parapsychologischer Forschung hat sich zudem eine Fülle von beachtlichen Hinweisen darauf angehäuft, dass aufgeschlossene, hochmotivierte Menschen erst im Rahmen von Gruppen zu paranormalen Leistungen fähig sind, die sie allein schwerlich zustandebringen könnten: zum Beispiel psychokinetische Leistungen im Rahmen von Séancen, die Gläser rücken und Tische schweben, Türen schlagen und Deckenlampen schwingen lassen; oder Spukvorfälle, in denen sich die angestauten Spannungen einer ganzen Familie entladen. Eine kollektive Psi-Leistung besonderer Art könnte auch für ein bis heute ungeklärtes Phänomen verantwortlich sein, das sich seit dem Jahre 305 nahezu regelmäßig an drei bestimmten Tagen des Jahres in der Kathedrale von Neapel wiederholt: Vor den Augen Abertausender von Gläubigen verflüssigt sich dann das in einem Glasbehälter aufbewahrte getrocknete Blut des heiligen Januarius. Warum vollzieht sich dieses berühmte "Blutwunder" immer nur vor einer großen Menschenmenge, nie in Gegenwart eines einzelnen? Die Gründe dafür könnten die gleichen sein, aus denen Gruppenheilungen auch dann noch wirken, nachdem geistige Einzelbehandlungen versagt haben. Die gemeinsame erwartungsvolle, zuversichtliche Anspannung und Konzentration einer Heilgruppe mag ein "affektives Feld" aufbauen, das paranormale Effekte vielfältiger Art begünstigt - therapeutische nicht ausgeschlossen.
Weil sowohl Leiter als auch Mitglieder von Heilgruppen sich ganz auf diese "energetischen" Aspekte konzentrieren, vertun sie häufig allerdings wertvolle therapeutische Chancen, die ihr Beisammensein eröffnen könnte. Nach meiner Überzeugung könnten Gruppenheilversuche den meisten Beteiligten noch erheblich rascher, tiefgreifender und nachhaltiger helfen, wenn sie psychologisch bewusster und geschickter geleitet würden. Dabei könnten sie von einem reichen Erfahrungsschatz profitieren, den Psychotherapeuten seit den fünfziger Jahren angesammelt haben, als sich Gruppentherapie neben der bis dahin übermächtigen Psychoanalyse als eigenständige Behandlungsform durchzusetzen begann. Von der Teilnahme an solchen Gruppen profitieren Patienten im allgemeinen um so mehr,
- je demokratischer sie geführt werden (bestenfalls steuert sich die Gruppe weitgehend selbst, der Leiter moderiert nur); - je konsequenter sie auf Veränderungen von Einstellungen und Verhaltensweisen aus sind; - je leichter sie es ihren Mitgliedern machen, Gefühle auszudrücken; - je offener Konflikte angesprochen und ausgetragen werden, die innerhalb der Gruppe entstehen.
Manchen Leitern von Heilgruppen gelingt dies intuitiv; doch viele andere, so befürchte ich aus eigener Erfahrung, hätten eine psychotherapeutische Grundausbildung dringend nötig - oder den Beistand eines erfahrenen Psychologen.
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