Ehe Kranke erwägen, ob sie sich einem Heilkreis anschließen sollen, interessiert sie vor allem eines: Sind Gruppensitzungen "besser" als Einzelbehandlungen? Helfen sie eher als beispielsweise das Handauflegen?
Ist Geistiges Heilen in Gruppen effektiver?
Derart allgemein gefasst, ist diese Frage unbeantwortbar, und dies nicht bloß deswegen, weil aussagekräftige wissenschaftliche
Vergleichsstudien vorerst fehlen. In welchem Maße ein Patient von einer Heilgruppe profitiert, hängt von zahlreichen Faktoren ab, deren wichtigster er selbst ist: Am hilfreichsten ist sie dann, wenn sein Leiden starke psychische Anteile aufweist, bei denen soziale Defizite mitspielen: etwa bei bestimmten Ängsten und Komplexen oder manchen Formen der Depression. Wer andererseits zu große innere Widerstände dagegen verspürt, seine Sorgen und Nöte vor einer Versammlung von Fremden auszubreiten,
tut mit Sicherheit besser daran, die Intimität einer privaten Einzelbehandlung vorzuziehen.
Davon abgesehen eignet sich nicht jede Heilgruppe gleich gut dazu, einen Patienten psychisch zu stützen: insbesondere solche nicht, die sich ziemlich sprachlos auf die Aufnahme von "Energien" beschränken. Ebensowenig hilfreich sind Gruppen, deren Leiter ihre eigenen Fähigkeiten (und Neurosen) allzusehr in den Vordergrund stellen und den lebendigen Fluss von Gedanken, Gefühlen und
Empfindungen abschneiden, sobald er an ihnen vorbeizulaufen droht.
Auch die zweite häufig gestellte Frage: "Welche Arten von Heilgruppen sind die besten?" lässt sich nicht befriedigend beantworten. Sind Gebetsheilkreise effektiver als Gruppen, die "channeln", gemeinsam meditieren oder mit Visualisierungen arbeiten? Vergleichsstudien hierüber stehen aus. Eindringlich warne ich Kranke allerdings davor, sich auf Gruppenheilungen im Rahmen von Sekten einzulassen. Der
psychische Preis dafür ist meist zu hoch - und wegen der Vielzahl offener, undogmatischer Heilgruppen, die sich längst in jeder größeren Stadt formiert haben, zudem eine unnötige Investition. Alternativen, die Patienten alle Freiheiten der Teilnahme und des Wegbleibens lassen, gibt es genügend.
Aber auch wenn Sie sich für Einzelbehandlungen entschieden haben, sollten Sie es nicht unterlassen, Anschluss zu suchen. Denn geistigen Beistand finden Sie nicht erst bei Geistheilern, sondern
auch in Therapiegruppen unter Leitung eines einfühlsamen Psychologen - oder in Selbsthilfegruppen von Menschen, die dasselbe Leiden quält wie Sie. Allein in Westdeutschland existierten schon 1989 etwa 45.000 Selbsthilfegruppen, in denen kostenlos über eine halbe Million Menschen organisiert waren. (Auskunft gibt die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen, Albrecht-Achilles-Straße 65, 10709 Berlin.) Falls in der Nähe Ihres Wohnorts noch
keine solche Gruppe besteht: Warum gründen Sie nicht selber eine? (Wertvolle Anregungen dafür finden Sie in dem Ratgeber von Winfried Kösters: Vom Ich zum Wir. Selbsthilfegruppen finden, gründen, führen, Trias Verlag 1992.) Eine Kontaktanzeige in Ihrer Lokalzeitung oder einem Anzeigenblatt genügt als erster Schritt. Sie würden staunen, auf welch große Resonanz Sie mit einer solchen Initiative stießen.
Dabei geht es weniger darum, esoterische Heilzirkel zu bilden, in denen
mysteriöse Energien mit vereinter Kraft für eine Wende zum Besseren sorgen sollen. Im Vordergrund steht psychische Stützung. Langjährige Krankheiten - zumal solche, die mit starken Schmerzen verbunden sind, entstellen oder die Beweglichkeit erheblich einschränken - lassen soziale Kontakte häufig abreißen; Betroffene vereinsamen oft, reagieren verbittert und deprimiert darauf. Und falls ein Leiden scheinbar unaufhaltsam zum nahen Tod führt, wie Aids oder metastasierter Krebs, stürzt es Kranke
in dieser Isolation erst recht in Angst und Verzweiflung, Hilf- und Hoffnungslosigkeit. Wer kann besser verstehen und nachempfinden, was es heißt, mit einer solchen Belastung zu leben, als andere Betroffene? Oft erst innerhalb solcher Kreise trifft ein Kranker auf Mitmenschen, die aufmerksam und geduldig zuhören, von Herzen Anteil nehmen und den rechten Trost spenden. Dabei wird er in einen vertraulichen Erfahrungsaustausch einbezogen, der wertvolle Hinweise auf wenig bekannte Maßnahmen und
Medikamente, auf erfolgreiche Ärzte und Fachkliniken, auf Heilpraktiker und Heiler bieten kann. Er findet Ablenkung und Zerstreuung in gemeinsamen Unternehmungen. Er trifft auf Vorbilder: Menschen, die trotz schwersten Leids nicht resignieren, mit ihren Beeinträchtigungen bewundernswert fertig werden und ihnen ein trotziges "Na und?" entgegensetzen. Wer sich selbst bisher nur als hilflos erlebte, erfährt in solchen Kreisen, wie sehr er anderen helfen kann: durch die richtigen Worte,
durch einen guten Rat, durch eine liebevolle Geste. Der bloße Umstand, dass ein schwerkrankes Gruppenmitglied gegen alle ärztlichen Prognosen noch einigermaßen erträglich lebt, macht anderen Mut. Hier wird man angenommen, gebraucht und geschätzt. Falls ein Geistheiler Ihnen tatsächlich hilft, dann gewiß nicht nur durch kosmische Energieblitze aus seinen Fingerspitzen, sondern auch in der Rolle als intuitiver Psychotherapeut - mit ähnlichen Mitteln also, wie sie Ihnen auch Selbsthilfegruppen
anzubieten hätten. Doch ist geteiltes Leid nicht oft auch doppeltes Leid? Müssen etwa Aids- oder Krebskranke nicht erst recht verzweifeln, wenn sie miterleben, wie ein vertrautes, liebgewonnenes Mitglied ihrer Gruppe stirbt - und damit alle Hoffnungen letztlich Lügen straft? Sich mit dem Tod auseinanderzusetzen, wird den Betroffenen ohnehin nicht erspart bleiben. Dies gemeinsam mit anderen zu tun, fällt erfahrungsgemäß leichter als in trostloser, stummer Einsamkeit. Eine neue Einstellung
zum Sterben (und einem möglichen Leben danach) finden; den Tod und seine Schrecken enttabuisieren, indem er zur Sprache gebracht wird; am Beispiel anderer erfahren, wie man in Würde und ohne Verbitterung sterben kann, im Frieden mit sich selbst: auch das sind wichtige Lektionen, die Selbsthilfegruppen vermitteln können.
Belastet das fortgesetzte Reden über Krankheit, Schmerz und Tod nicht eher, statt zu erleichtern? Das hängt vom Patienten ab. Für manche Schwerstkranke sind
Gesprächsgruppen in der Tat Gift: Sie leben besser und unbeschwerter, indem sie ihr Kranksein verdrängen und möglichst so weiterleben, als wüßten sie nichts von dem Damoklesschwert, das über ihnen hängt. Allerdings müssen sich Selbsthilfegruppen keineswegs darin erschöpfen, unentwegt über Symptome, Ängste und fehlgeschlagene Behandlungen zu lamentieren, nach Ursachen, Gründen und tieferem Sinn des Leidens zu bohren. Wem dies zuwider ist, der sollte auf die Gemeinschaft von gleichermaßen
Betroffenen trotzdem nicht verzichten - sondern mit ihnen gemeinsam eine Gruppe aufbauen, die seiner persönlichen Art eher entspricht, mit seinem Schicksal umzugehen.
Zyniker belächeln Selbsthilfegruppen manchmal als "Seelenmassage-Clubs", in denen bloß Selbstmitleid kultiviert, zum kollektiven Selbstbetrug über die wahre Lage angestiftet und gegenseitig Wunden geleckt werden, die ohnehin nie verheilen. Vorurteile dieser Art halten viele Kranke davon ab, solche Gemeinschaften
zu suchen. "Was ich loswerden will, ist meine Krankheit", sagen sie, "und solange ich sie habe, klingt jeder Trost für mich wie Hohn." Dabei verkennen sie, dass psychische Stützung, wie sie gute Selbsthilfegruppen zu bieten haben, auch therapeutisch wirken kann: Sie beeinflußt das Leiden selbst.
Eindrucksvoll belegt sind diese Wirkungen sogar bei einer der gefürchtetsten, tödlichsten Krankheiten: bei Krebs. Der amerikanische Arzt David Spiegel, Professor für
Psychiatrie an der Universität Stanford in Kalifornien, verfolgte zehn Jahre lang, bis 1989, das Schicksal von 86 Frauen mit fortgeschrittenem Brustkrebs, der bereits bösartige Tochtergeschwulste gebildet hatte. Im ersten Jahr kam die Hälfte von ihnen, zusätzlich zu herkömmlichen medizinischen Maßnahmen, zu wöchentlichen Treffen zusammen. Dabei besprachen sie miteinander ihre Krankheitserfahrungen, Alltagsprobleme und Ängste. Gegen Schmerzen und Nebenwirkungen von Strahlen- und Chemotherapie
nahmen sie an einem Entspannungsprogramm teil, und der drohenden sozialen Isolation wurde durch intensiven persönlichen Austausch auch außerhalb der regelmäßigen Zusammenkünfte begegnet. So entwickelte sich die Gruppe allmählich zu einem Ort der Vertrautheit und Geborgenheit, wo Gefühle offen zum Ausdruck gebracht werden konnten. Die andere Hälfte der Patientinnen ließ sich ausschließlich medizinisch versorgen. Zehn Jahre später waren von den 86 nur noch drei am Leben - allesamt Teilnehmer
jener Therapiegruppe. Ihre durchschnittliche Überlebensdauer lag um fast anderthalb Jahre höher. Auch litten sie weniger ausgeprägt an Schmerzen und Depressionen.
In einer anderen wegweisenden Studie verglich der Heidelberger Psychosomatiker Ronald Grossarth-Maticzek an drei Gruppen von Frauen mit fortgeschrittenem Brustkrebs, wie Psychotherapie und Chemotherapie wirken. Dabei erhöhte sich die mittlere Lebenserwartung bei Chemotherapie allein von elf auf vierzehn Monate, bei
Psychotherapie allein auf fünfzehn Monate und bei einer Kombination beider Verfahren auf 28 Monate.
So viel kann psychische Stützung ausrichten. Deshalb sollten Sie nicht darauf verzichten, auch wenn Sie sich auf "Geistiges Heilen" einlassen. Das eine schließt das andere nicht aus, sondern ergänzt sich sinnvoll.
Quellenangaben und weitere Literaturhinweise in Geistiges Heilen - Das Große Buch. |