Erheblich leichter herzustellen und zu erwerben sind die Heilfetische des nachchristlichen «Neuen Zeitalters» - und dabei offenbar nicht minder wirksam. Was
Barrie Redington Stofflappen zutraut, versprach sich Bruno Gröning von Stanniolkugeln, ebenso der Münchner Geistheiler Dr. Kurt Trampler. Dolores Krieger, die Wegbereiterin des «Therapeutic Touch», traut Wolle zu, Heilenergie zu speichern. Die indianische Medizinfrau Oh Shinnah, immerhin eine diplomierte Psychologin, «programmiert» Kristalle auf
Heilschwingungen für bestimmte Erkrankungen, desgleichen der 1992 verstorbene Schweizer Edelsteintherapeut Marcel Vogel. Die Heilerin Renate S., Arztfrau aus Kall in der Eifel, will «heilendes Wasser» herstellen können, «einfach indem ich es berühre». Bei Patienten, die sie damit benetzte, soll eine Herpes-Infektion im Auge unverzüglich verschwunden sein; eine tiefe Schnittwunde in der Hand soll sich binnen Minuten geschlossen haben; ein seit fünfzehn Jahren andauernder Gehörsturz sei
schlagartig verschwunden.
Eine besondere Rolle spielen Fetische bei der Arbeit des berühmten ungarischen Geistheilers Oskar Estebany, eines ehemaligen Kavallerieoffiziers, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg ganz dem Dienst an Kranken widmete, insbesondere nach seiner Emigration nach Kanada. Er setzte Gegenstände beinahe beliebiger Art dazu ein, mit seinen Patienten auch in ihrer Abwesenheit Kontakt zu halten; mit Fetischen behandelte er sie auf Distanz. Dabei verwendete er unter
anderem Papier: «Eigentlich tat ich dabei überhaupt nichts Besonderes. Ich schnitt einfach ein Blatt Papier in kleine Stücke. Diese Stücke signierte ich dann, aber im Grunde war das Unterschreiben überflüssig. Mir wurde klar, dass alles, was ich in die Hände nahm, meine Energie aufnimmt und sie abstrahlt, wobei es von einer Art Magnetfeld umgeben wird. Bis zu einem gewissen Grad eignet sich jedes beliebige Material dazu, aber am aufnahmefähigsten sind Wasser, Faserstoffe, Holz, Pflanzen,
menschliche oder tierische Körper ... Mittels all dieses energetisierten Materials, wie weit es auch immer von mir entfernt sein mag, bleibe ich mit meinen Patienten für lange Zeit in Verbindung. Darin liegt, so glaube ich, der Grund dafür, daß mir eine Fernheilung nur bei einer Person gelingt, die entweder zuvor von mir persönlich behandelt wurde oder im Besitz von Material ist, das ich energetisiert habe ... Mit Hilfe solchen Materials können wir miteinander in Kontakt bleiben, selbst wenn
wir uns jahrelang nicht mehr sehen, ja nicht einmal mehr aneinander denken.»
Fetische: mehr als Placebos?
Haben Reliquienverehrung und anderer Kult um Fetische einen rationalen Kern? Ist ihre Wirkungsweise ein Phänomen, das aufgeschlos¬sene Ärzte und Wissenschaftler herausfordern müßte? Oder stehen «energiegeladene» Heiltücher, Wattebäusche und Papierschnitzel im Prinzip auf einer Stufe mit Hufeisen,
vierblättrigem Klee und anderen Talismanen?
Die erste und vorläufig einzige ernstzunehmende wissenschaftliche Studie aus Deutschland, die Fetischen auf den Grund zu gehen versuchte - und das eher beiläufig, im Rahmen eines umfassenderen Forschungsprojekts -, liegt schon fast vier Jahrzehnte zurück. Dabei befasste sie sich mit einer einzigen Art von Fetisch, «energetisiert» von einem einzigen Heiler, in Anwendung auf eine unrepräsentative Stichprobe. Die Vorgeschichte: Im Herbst 1954
hatte sich einer der populärsten Geistheiler jener Zeit, der schon mehrfach erwähnte Volkswirt Dr. Kurt Trampler aus München, hilfesuchend an das von Hans Bender geleitete «Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene» in Freiburg im Breisgau gewandt. Nachdem er seit 1952 angeblich dreißig- bis vierzigtausend Kranke unbefugt behandelt haben soll, war von der Staatsanwaltschaft München ein Strafverfahren gegen ihn angestrengt worden. Daraufhin war Trampler, wegen Verstoßes gegen
das Heilpraktikergesetz, in erster Instanz zu drei Monaten Gefängnis mit Bewährung sowie zu einer hohen Geldstrafe verurteilt worden. Gegen dieses Urteil hatte er Berufung eingelegt: Er bestand auf einem wissenschaftlichen Gutachten, das die Justiz dazu bewegen sollte, ihn an den Früchten seiner Arbeit zu messen. Ein solches Gutachten erhoffte er sich nun von den Freiburger Parapsychologen - und bekam es:
Für ihre Dissertation studierte die Aachener Psychologin Ingeborg Strauch 1955
mehrere Heilmethoden Tramplers: neben Handauflegen und Fernbehandlungen auch eine sonderbare Art von Heilfetisch, den Trampler von Bruno Gröning übernommen hatte. Er übergab seinen Patienten häufig Folien aus Stanniol, die er vorher in seinen Händen gehalten und «durchströmt» hatte, wie er den Vorgang des «Aufladens» nannte. Diese Folien sollten zu Hause auf die erkrankten Körperteile gelegt, unter dem Kopfkissen ausgebreitet oder auch ständig auf der bloßen Haut getragen werden. Für die medizinische Aufnahme und Kontrolle von Strauchs Patientengut hatte der Direktor der Medizinischen Poliklinik der Universität Freiburg, Professor H. Sarre, zwei Mitarbeiter abgestellt, Dr. J. Marx und Dr. H. Enke. Während des halbjährigen Testzeitraums, vom Januar bis Juli 1955, wendeten 228 Patienten die Folien an. Von ihnen berichteten 62, also mehr als ein Viertel, diese Prozedur hätte ihre Beschwerden gelindert; die übrigen 166 bemerkten keine Besserung. Immerhin schien die Folienbehandlung alles in allem erfolgreicher als Tramplers «Fernheilungen», die er zu bestimmten, zuvor abgesprochenen Uhrzeiten vornahm. Dies, so Strauch, könnte allerdings «durch die direkte Berührung mit dem Körper zu erklären sein, die eine engere Verbindung zur Krankheit herstellt». Die sonderbaren Empfindungen, die jeder zweite Anwender erlebte und auf die «Heilenergie» zurückführte - vor allem Wärmegefühle -, seien im übrigen «beim Auflegen von Stanniolfolie auf die Haut, physiologisch gesehen, ganz natürlich». Andererseits traten in Einzelfällen Empfindungen auf, welche «die üblichen Wärmesensationen beim Auflegen einer einfachen Stanniolfolie überstiegen und zu einer Linderung der Schmerzen führten»; dies sei «ein wesentlich tiefgreifenderer Vorgang», der Beachtung verdiene.
Leider mangelt es der Freiburger Studie an Angaben über ärztlich festgestellte objektive Veränderungen der Krankheitsbilder, die über das zu erwartende Maß deutlich hinausgingen, ebenso wie an begleitenden anderen therapeutischen Maßnahmen. Das macht sie weitgehend wertlos.
Wenn Stanniolfolien und andere Heilfetische Wirkungen entfalten, die ihnen aufgrund ihrer bekannten physikalischen Eigenschaften niemand zugetraut hätte, so spielt starker Glaube an solche Kräfte unzweifelhaft eine gewichtige Rolle. Falls und solange ein Kranker davon überzeugt ist, irgendein an sich toter Gegenstand habe eine «übernatürliche» Kraft aufgesogen und strahle sie ab, wird seine Psyche mit großer Wahrscheinlichkeit dafür sorgen, dass entsprechende Selbstheilungsprozesse in seinem Körper in Gang kommen, es sei denn, die biologischen Reparaturmechanismen sind schon zu stark beeinträchtigt. Dieser Glaube wirkt oft selbst dann unvermindert heilsam, wenn er nachweislich irrig ist: bei Pseudo-Reliquien. «Würden die Knochen irgendeines Skeletts», so gab der italienische Philosoph Pietro Pompanazzi schon vor fünf Jahrhunderten zu bedenken, «insgeheim gegen die sterblichen Überreste eines Heiligen vertauscht, so würden sie einem Kranken nichtsdestoweniger nützen, vorausgesetzt nur, er wäre davon überzeugt, dass es sich um echte Reliquien handelt.»
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