Eine der ältesten
Formen von Geistheilen entspringt religiösen Traditionen: das Gebet. Dass es hilft, blieb jahrtausendelang eine unumstößliche Glaubenssache; es mit naturwissenschaftlicher Methodologie zu hinterfragen, hätte als pure Blasphemie gegolten. Das änderte sich 1985, mit dem für lange Zeit aufwendigsten und teuersten, am besten kontrollierten und daher überzeugendsten Doppelblindtest zum Fernheilen. Er fand unter Leitung des amerikanischen Arztes Dr. Randolph Byrd im Allgemeinen Krankenhaus von San
Francisco statt, deren kardiologische Abteilung zu den größten der Vereinigten Staaten zählt.
Sämtliche Patienten, die dort zwischen August 1982 und Mai 1983 wegen gravierender Herzprobleme stationär aufgenommen wurden - insgesamt 450 -, wurden zu dieser Studie eingeladen. Welche Rolle jeder einzelne von ihnen dabei spielen würde, erfuhren sie nicht; mitgeteilt wurde ihnen lediglich, dass für sie entweder Fernheiler außerhalb des Krankenhauses beten würden - oder dass sie einer
"Kontrollgruppe" angehören. 57 Patienten wollten nicht mitmachen, womit 393 übrigblieben.
Für jeden dieser 393 legte Byrd ein gesondertes Krankenblatt an; darauf notierte er Vorname, Diagnose und Allgemeinzustand. Aus diesen 393 Blättern wurden 192 ausgelost - und an christliche Glaubensheiler in ganz Amerika verschickt, mit der schriftlichen Bitte, "täglich für eine rasche Genesung und die Verhütung von Komplikationen oder gar des Todes zu beten". Auf jeden
beteiligten Patienten entfielen drei bis sieben Geistheiler, die für ihn fortan zehn Monate lang Tag für Tag Fürbitten zu Gott richteten; sobald sich der Zustand "ihres" Patienten gravierend veränderte, wurden sie von der Klinik benachrichtigt. Weder Byrd noch andere Ärzte, Krankenschwestern oder irgendwer sonst im Krankenhaus konnte wissen, auf welche Patienten der Ausgangsstichprobe das Los gefallen war. (Das Auswahlverfahren hatten wissenschaftliche Mitarbeiter vorgenommen, die
an der Studie im übrigen nicht beteiligt waren.) Beide Gruppen, die Fernbehandelten ebenso wie die Kontrollgruppe, waren durchaus vergleichbar zusammengesetzt, wie sichergestellt wurde: gleich schwerer organischer Befund, gleiche Herzfunktionsstörungen und Begleitbeschwerden, gleiches Alter, gleiche ärztliche Versorgung. Um so mehr verblüfft Byrds Befund: Bei denjenigen Herzkranken, für die gebetet wurde, traten im allgemeinen deutlich seltener Komplikationen auf, während sie im Krankenhaus
lagen, und zumindest in sechs untersuchten Bereichen fielen die Unterschiede statistisch signifikant aus:
- Den Fernbehandelten mussten seltener Antibiotika verabreicht werden (in drei Fällen, gegenüber 16 in der Kontrollgruppe);
- Nur bei sechs Fernbehandelten kam es zu pulmonaren Ödemen, d.h. Wasser sammelte sich in der Lunge an (gegenüber 18 in der Kontrollgruppe).
- Kein Fernbehandelter, jedoch 12 Patienten der Kontrollgruppe mussten künstlich beatmet
werden.
- Deutlich seltener setzte die Herz-Lungentätigkeit kurzzeitig aus (3 gegenüber 14 Fälle).
- Harntreibende Mittel, Diuretika, mussten bloß bei fünf Fernbehandelten, aber bei 15 Mitgliedern der Kontrollgruppe eingesetzt werden. (Merkwürdigerweise verkürzte sich dadurch allerdings nicht die durchschnittliche Dauer des Krankenhausaufenthalts: In beiden Gruppen lag sie bei knapp unter acht Tagen.)
Den Krankheitsverlauf der Patienten während ihres
Klinikaufenthalts bewerteten "verblindete" Ärzte nach einem dreiteiligen Schema. Als "gut" galt er, sofern keine neuen Diagnosen gestellt und neue Behandlungsmaßnahmen ergriffen werden mussten - und Komplikationen, soweit sie auftraten, vergleichsweise harmlos blieben. Bei erhöhter Morbidität und Lebensgefahr wurde der Verlauf als "mittelmäßig" (intermediate) eingestuft. Als "schlecht" galt er, wenn akut lebensbedrohliche Krisen auftraten oder
der Patient gar verstarb. Auch nach diesem Bewertungsschema war die Gebetsgruppe gegenüber der Kontrollgruppe klar im Vorteil:
Bewertung Gebetsgruppe (192) Kontrollgruppe (201)
gut 163 (85 Prozent) 147 (73 Prozent) mittelmäßig 2 (1
Prozent) 10 (5 Prozent) schlecht 27 (14 Prozent) 44 (22 Prozent)
"Es sieht so aus, als ob diese Untersuchung
zur Geistheilung einer genaueren Prüfung standhält", sah sich selbst der berüchtigte Kritiker Dr. William Nolan einzuräumen genötigt; in den frühen siebziger Jahren hatte der streitbare Mediziner mit seinem Buch "Heilung - ein Arzt auf der Suche nach einem Wunder" (Healing - A Doctor in the Search of a Miracle) einen in Fachkreisen vielbeachteten Verriss des Phänomens Geistiges Heilen vorgelegt, die er in jeglicher Form als Scharlatanerie entlarvt zu haben meinte.
"Vielleicht sollten wir Ärzte auf unsere Rezeptformulare schreiben 'dreimal täglich beten'", so Nolans Rückzieher unter dem Eindruck des Tests von San Francisco.
Die Folgen wären beachtlich: Allein in Deutschland sterben jährlich mehr als 400'000 Menschen an Herz-/Kreislaufleiden. In den Industrieländern sind diese Krankheiten für 60 Prozent aller Todesfälle verantwortlich - und damit, trotz aller Erfolge moderner Kardiologie, die häufigste Sterbeursache
überhaupt. Die Kosten ihrer Behandlung liegen in Deutschland derzeit bei über 20 Milliarden Euro pro Jahr und könnten sich bis 2030 verdoppeln, wie Gesundheitsökonomen hochrechnen; jeder neuer Patient kostet bis an sein Lebensende die Sozialversicherungen im Schnitt 34'000 Euro. Könnten Herzkranke tatsächlich in einem Maße, wie Byrd es feststellte, von geistigem Fernheilen profitieren, wäre dies auch gesundheitspolitisch hochbedeutsam.
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